Verhaltenstherapie

In der Verhaltenstherapie wurden im Laufe der Zeit zwei verschiedene Strategien zur Behandlung von phobischen Ängsten entwickelt:

  1. Systematische Desensibilisierung: Aushaltenlernen immer schwierigerer angstmachender Situationen in der Vorstellung unter angstdämpfenden Entspannungsbedingungen oder in der Realität bei dosierter, leicht erträglicher Angst (“gestufte Reizkonfrontation”).
  2. Reizkonfrontation mit Reaktionsverhinderung (“massierte Reizkonfrontation” im Sinne von Reizüberflutung/Flooding): intensive Konfrontation mit den angstmachenden Situationen in der Realität ohne Entspannung, sondern bei bewusster Angst- und Panikprovokation mit dem Ziel der Erlernung von Bewältigungsstrategien bei erlebten Panikreaktionen (“Angstbewältigungstraining”).

Die verschiedenen verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätze bei Angststörungen lassen sich anhand von zwei Kategorien klassifizieren:

  • Art der Angstkonfrontation: graduell oder massiert,
  • Realitätsgrad der Angstkonfrontation: in der Vorstellung oder in der Realität.

Angstbehandlung in der Verhaltenstherapie

Art der Angstkonfrontation In der Vorstellung In der Realität
Graduell

(allmählich, gestuft)

Desensibilisierung

(Annähern)

Habituierung

(Gewöhnung)

Massiert

(plötzlich und intensiv)

Implosion

(Verlöschen durch Übertreiben)

Flooding

(Überfluten)

Systematische Desensibilisierung – Die Angst erfolgreich meiden1958 stellte der Psychiater Wolpe in Südafrika die systematische Desensibilisierung zur gezielten Behandlung von Angst vor. Er übertrug konsequent die Prinzipien der Lerntheorien auf den klinischen Bereich und wurde damit Ende der 50er Jahre einer der Mitbegründer der Verhaltenstherapie, die sich aus lerntheoretischen Wurzeln gleichzeitig in Südafrika, in den USA und in England entwickelte.

Die Patienten lernen, angstmachende Situationen unter angstdämpfenden Bedingungen zu ertragen. Ziel ist die angstfreie Angstbewältigung:

“Wenn es gelingt, eine mit Angst unvereinbare Reaktion bei Anwesenheit eines angsterzeugenden Stimulus auftreten zu lassen, so dass es zu einer vollständigen oder teilweisen Unterdrückung der Angstreaktion kommt, wird die Verbindung zwischen dem Stimulus und der Angstreaktion abgeschwächt.”Entspannung wird als die gesuchte angstdämpfende Bedingung angesehen, weshalb die rasch erlernbare Technik der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson eingeübt wird. Es können aber auch andere Entspannungstechniken eingesetzt werden (Atemtechniken, autogenes Training, Biofeedback, Hypnose).

Bei der systematischen Desensibilisierung werden zuerst konkrete Situationen hinsichtlich eines phobischen Objekts oder Ereignisses gesammelt, dann in eine nach Schwierigkeitsgrad abgestufte Rangfolge gebracht (d.h. es wird eine Angsthierarchie erstellt) und anschließend von der leichtesten bis zur schwersten Aufgabe unter Entspannungsbedingungen in der Vorstellung ertragen gelernt, bis Angstfreiheit gegeben ist. Die jeweils schwierigere Situation wird erst dann angegangen, wenn die leichtere wiederholt ohne Angst durchgestanden werden kann.

Die Desensibilisierung kann nicht nur in der Vorstellung, sondern auch in der Realität erfolgen. In der Realität werden nur jene Situationen aufgesucht, die in der Vorstellung bereits sicher ertragen werden können. Es handelt sich dabei um eine Angstbehandlung nach dem Modell der gestuften Reizkonfrontation. Auf diesem Prinzip beruhen die verschiedenen Selbsthilfeprogramme.

Ein Beispiel für eine Angstbehandlung nach dem klassischen Desensibilisierungsmodell ist die Behandlung von Tierphobien (Spinnen, Hunde, Pferde usw.). Während zuerst Bilder und Filme der gefürchteten Tiere oder Objekte gezeigt werden (vielleicht auch gezeichnet werden), erfolgt im Laufe der Zeit eine immer stärkere Annäherung an die realen Angstauslöser, bis schließlich eine Berührung der Tiere bei erträglicher Erregung möglich wird oder die Tiere auf der Haut ertragen werden (z.B. bei Käfer- oder Spinnenphobien). Oft sind gar nicht Ängste, sondern Ekelgefühle auszuhalten.

Das Desensibilisierungskonzept stellte in den 70er Jahren weltweit die zentrale Angstbehandlungsmethode der Verhaltenstherapie dar, vielfach galt sogar die formelhafte Gleichsetzung “Verhaltenstherapie = systematische Desensibilisierung”.

Heutzutage gilt dieses Konzept in Theorie und Praxis allgemein als überholt und wird nur mehr in bestimmten Fällen angewandt. Selbst bei Wirksamkeit verlängert ein derart langsames, weil angstmeidendes Vorgehen die Behandlungsdauer erheblich, ohne den Behandlungseffekt zu erhöhen.

Studien zur systematischen Desensibilisierung haben folgendes ergeben

  • Entspannung ist keine notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit der systematischen Desensibilisierung, d.h. erfolgreiche Angstbewältigung setzt nicht unbedingt eine vorherige Entspannung voraus.
  • Sichere Angstbewältigung erfordert kein Vorgehen nach dem Prinzip einer Angsthierarchie, d.h. ein schrittweises Vorgehen in einer bestimmten Reihenfolge (von leichteren zu schwierigeren Übungen) ist keinesfalls nötig.

Das Modell der systematischen Desensibilisierung bedeutet nach Hand ein Angst-Meidungs-Training (“Meidungs-Management”). Eine stärker emotional-physiologische Erregung durch intensivere Angstzustände wird gezielt zu vermeiden versucht. Es wird trainiert, wie man den bisher phobisch gemiedenen Situationen ohne große Angst und Panik begegnen kann. Dies kommt dem Bedürfnis vieler Patienten sehr entgegen, bisher angstmachende Situationen mit Hilfe bestimmter Techniken garantiert ohne Angst bewältigen zu können.

Das Modell der massierten Reizkonfrontation in der Realität (Reizüberflutung oder Flooding) stellt ein Angst-Management-Training dar, dessen Charakteristika im Vergleich zum Desensibilisierungsmodell gut aufgezeigt werden können.

Angst-Meidungs-Training und Angst-Management-Training

Angst-Meidungs-Training (Desensibilisierungs-Modell) Angst-Management-Training (Flooding-Modell)
Konfrontation sehr gestuft (Prinzip “der kleinen Schritte”) Konfrontation rasch und intensiv (Prinzip “Wer wagt, gewinnt”)
Meidung von Angst/Panik Induktion von Angst/Panik
Entspannungstraining zur Meidung der Angst Managementtraining von induzierter Angst/Panik führt indirekt zur Entspannung
Antidepressiva, Anxiolytika oder Beta-Blocker können Beginn von Selbsthilfeübungen erleichtern Anxiolytika behindern den Therapieprozess; Antidepressiva gelegentlich anfangs hilfreich, meist verzichtbar, mitunter hinderlich
Durchführung in der Regel in angeleiteter Selbsthilfe Durchführung in der Regel therapeutengeleitet (bevorzugt in Gruppen)

Das Desensibilierungsmodell

Das Desensibilierungsmodell als Angst-Meidungs-Training wird heute praktisch nur mehr bei Selbsthilfeprogrammen im Sinne einer gestuften Reizkonfrontation in der Realität eingesetzt, weil hier die Risiken im Falle fehlerhafter Anwendung minimiert werden und diese Vorgangsweise den meisten Angstpatienten erträglich erscheint.Das Modell der massierten Reizkonfrontation in der Realität (Flooding) ist als Selbsthilfemethode vielen Agoraphobiepatienten mit Panikstörung nicht zumutbar, weil deren Problematik gerade darin besteht, dass sie intensive Angstzustände vermeiden. Mutige Angstpatienten können auf diese Weise jedoch rasch ihre Ängste verlieren.

Für bestimmte Patienten bleibt eine gestufte Reizkonfrontation angezeigt

  • Menschen mit Situationsängsten im Rahmen einer generalisierten Angststörung;
  • Menschen mit geringer Stresstoleranz und übermäßig großen Belastungen (vor allem auch in Verbindung mit gleichzeitig vorhandenen anderen Störungen wie depressive Episode, Erschöpfungsdepression, Kreislaufinstabilität, hormonelle Störungen);
  • Menschen mit psychotischen Episoden in der Vorgeschichte;
  • Menschen mit Substanzmissbrauch (besonders jene, die die Übungen nur bei heimlicher Alkohol- oder Tranquilizereinnahme durchführen würden);
  • Menschen mit zwanghaft-rigider Persönlichkeitsstruktur, die auf ihre Unabhängigkeit bedacht sind und durch derartige Übungen in einen Machtkampf mit dem Therapeuten geraten würden;
  • Menschen mit der Unfähigkeit, emotionale Durchbrüche zulassen und sich fallen lassen zu können (diese Personen bleiben auch beim Flooding verspannt);
  • Menschen mit ständiger Leistungshaltung, alles schaffen zu müssen, sogar schwierigste therapeutische Übungsaufgaben (das Motto “Man muss sich nur zusammenreißen” ist gerade bei einer Reizüberflutungstherapie nicht erwünscht);
  • Menschen mit Traumatisierung in Kindheit und Jugend durch einen überwiegend leistungsbezogenen, zuwendungsarmen Erziehungsstil der Eltern (eine massierte Reizkonfrontationstherapie könnte hier zu einer unkontrollierten Wiederholung traumatischer Situationen führen);
  • Menschen, denen beim Vorgehen nach dem Selbsthilfeprinzip ausreichend geholfen werden kann, indem ihnen ein Therapiemanual zur Verfügung gestellt wird.

Konfrontationstherapie – Der Angst begegnen

Die Reizkonfrontationstherapie wurde in den 60er Jahren in England entwickelt, wo sie “exposure” genannt wird, weshalb man im deutschen Sprachraum auch von “Exposition” oder “Expositionstherapie” spricht.In der letzten Zeit hat sich anstelle der Bezeichnung “Reizkonfrontationstherapie” der Begriff “Konfrontationstherapie” durchgesetzt, weil damit nicht nur die Konfrontation mit dem Reizaspekt der Situation (“äußere Reize”), sondern auch die Konfrontation mit den eigenen (Angst-)Reaktionen (“innere Reize”) erfasst wird.Als Begründer der Konfrontationstherapie gilt Isaac Marks, Professor für Psychiatrie an der Universität von London und seit Jahrzehnten die bedeutsamste Persönlichkeit in der Erforschung und verhaltenstherapeutischen Behandlung von Angststörungen in Großbritannien.Konfrontationstherapien beruhen auf dem Prinzip der Konfrontation mit den angstmachenden Situationen oder Objekten ohne Entspannung. Die Konfrontation im Sinne einer massierten Reizkonfrontation bezeichnet man als “Reizüberflutung” (englisch “Flooding”).Die Konfrontationstherapie beruht auf drei charakteristischen Prinzipien:

  • Massierte Reizkonfrontation. Es erfolgt eine direkte, sofortige und intensive Konfrontation mit den am meisten angstmachenden Situationen in der realen Umwelt.
  • Ununterbrochene und nicht ablenkende Konfrontation mit der Angstsituation bis zum Zeitpunkt eines deutlichen Absinkens der Angstreaktionen auf ein erträgliches Ausmaß. Die intensive Zuwendung zu den angstmachenden Reizen kann entweder durch inneres Verbalisieren und Kommentieren der momentanen Vorgänge oder durch lautes Sprechen über die aktuellen Vorgänge (z.B. in Begleitung des Therapeuten) aufrechterhalten werden.
  • Reaktionsverhinderung. Die Betroffenen sollen die gefürchtete Situation im Zeitpunkt der größten Angst nicht verlassen, sondern darin ausharren, um das Erlebnis der Bewältigung zu erfahren.

Im deutschen Sprachraum stellten Marburg und Hamburg die Zentren der Entwicklung der Konfrontationstherapie dar.1980 veröffentlichten die Marburger Forscher Bartling, Fiegenbaum und Krause das Standardwerk “Reizüberflutung. Theorie und Praxis”. Die Autoren beziehen sich zur theoretischen Fundierung auf die Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer, die sie jedoch gleichzeitig als unzulänglich hinstellen, weil dieses Konzept das Anhalten phobischen Verhaltens trotz einer Konfrontationstherapie nicht erklären kann.Neben den lerntheoretischen Konzepten von Stimulus (Reiz) und Response (Reaktion) als Grundeinheiten des Verhaltens wurden schon damals kognitive Konzepte betont, die die psychischen Verarbeitungsprozesse berücksichtigen, die während einer Konfrontationstherapie ablaufen.

Die Wirkmechanismus der Konfrontationstherapie beruhen auf den Vorgängen der “Löschung” und der “Habituation”

“Durch wiederholte Konfrontation mit dem konditionierten Stimulus bei gleichzeitiger völliger Verhinderung der Vermeidungsreaktion soll die Angstreaktion gelöscht werden. Für eine effektive Löschung sollten möglichst alle Reize, die zu konditionierten Stimuli für die (potentielle) Angstreaktion geworden sind, dargeboten werden. Ein Generalisierungseffekt ist jedoch zu erwarten.”Löschung bedeutet, dass die Angstreaktion auf einen phobischen Auslöser hin nicht durch Flucht oder Vermeidung beendet wird, sondern durch Gewöhnung (Habituation) an den phobischen Reiz in Form von regelmäßiger Konfrontation.Habituation bedeutet eine Gewöhnung an bislang angstmachende Reize und Situationen, so dass die physiologische Erregung nachlässt. Anders formuliert ist Habituation “das Absinken der Reaktionswahrscheinlichkeit zentralnervöser und peripherer Strukturen bei wiederholter Reizdarbietung”.

Bei neuen, ungewohnten, unerwarteten, gefährlich und unerträglich erscheinenden Reizen und Situationen erfolgt eine 3-5 Minuten dauernde arousal reaction, d.h. eine massive körperliche und geistige Aktivierung im Sinne der Kampf-Flucht-Reaktion nach Cannon und der Alarmreaktion nach Selye.Bei Angst- und Zwangspatienten ist anfangs alles immer wieder neu aufregend, weil durch das ständige Vermeidungsverhalten keine Gewöhnung an die entsprechenden Auslösereize erfolgt. Die Marburger Forscher weisen auf die Ähnlichkeit der Reizkonfrontationstherapie mit paradoxen Therapieverfahren hin:”Die Aufforderung, die Angst zuzulassen, beinhaltet nach unserer Erfahrung erhebliche Anteile einer paradoxen Instruktion und sollte vor und während des Intensivtrainings häufiger wiederholt werden.

“Die Effektivität eines derartigen Vorgehens hatte bereits in den 30er Jahren der Wiener Psychiater Viktor Frankl mit seiner Technik der “paradoxen Intention” aufgezeigt. Die Reizüberflutungstherapie beginnt genau mit dem, was die systematische Desensibilisierung bzw. gestufte Reizkonfrontationstherapie gezielt zu verhindern sucht, nämlich mit der Provokation von Emotionen und körperlichen Angstreaktionen.Durch rasche und massive Konfrontation mit den am meisten angstmachenden Situationen unter möglichst realistischen Bedingungen, d.h. in Alltagssituationen, werden die bisher gefürchteten körperlichen, emotionalen und kognitiven Reaktionen in Anwesenheit des Therapeuten provoziert und bewältigt. Die Patienten werden ermutigt, die angstmachenden Situationen zum Zeitpunkt der größten vegetativen Erregung nicht zu verlassen, sondern in einer Art Beobachterposition aushalten zu lernen.Im Gegensatz zu Vertretern anderer Psychotherapiemethoden gehen Verhaltenstherapeuten bei Bedarf zusammen mit ihren Patienten aus dem Therapieraum in angstmachende Situationen des täglichen Lebens, um ihnen diese in Form eines “Durcherlebens” besser bewältigen zu helfen als durch ein “Darüber-Reden”.

Angstbehandlung nach dem Modell der Reizüberflutung erfolgt bei einer schweren Agoraphobie anfangs häufig gemeinsam mit einem aufmunternden Therapeuten, der sich im Laufe der Zeit immer mehr ausblendet, kann aber auch von Beginn an alleine durchgeführt werden oder in Begleitung einer Vertrauensperson.

Bei vielen Patienten (vor allem bei Patienten mit angstneurotischer Struktur im Sinne der Psychoanalyse) ist eine Reizüberflutung in Begleitung des Therapeuten nicht möglich bzw. wenig sinnvoll, weil der anwesende Therapeut eine Sicherheitsgarantie darstellt (“Wenn etwas passiert, werden Sie mir helfen”, “Auf Ihre Verantwortung hin mache ich alles”), aber auch das unerträgliche Gefühl des Alleinseins mildert (“Mit Ihnen mache ich gerne alle Übungen, allein freut es mich nicht”). Viele Agoraphobiepatienten können die Übungen in Anwesenheit des Therapeuten sogar genießen, während sie erst beim Üben allein richtiggehend Angst bekommen.Reizüberflutung bedeutet nach einem Bild von Marks, in das tiefe Wasser der Angst zu springen, Desensibilisierung ist dagegen ein zentimeterweises Hineinwaten vom seichten Ende her.

Flooding

Bei Therapiebeginn erfolgt sofort eine Konfrontation mit den am stärksten angstmachenden Situationen im Sinne einer “Überflutung” (Flooding), um rasch einen Durchbruch zu erreichen und tage- bzw. wochenlanges Üben überflüssig zu machen. Dabei wird anfangs mindestens 1-3 Tage lang zusammen mit dem Therapeuten intensiv geübt, und zwar den ganzen Tag lang (mindestens jedenfalls 4-6 Stunden), oder es finden 1-5 Übungstage innerhalb von 2 Wochen statt, während eine gestufte Reizkonfrontation im Sinne eines Angst-Meidungs-Trainings 6 Wochen bis 6 Monate Zeit erfordert, bis sich ein ausreichender Therapieerfolg einstellt.Bei einem zeitlich besonders massierten Vorgehen werden in ca. 5-10 aufeinander folgenden Tagen bis zu 8-10 Stunden täglich die symptomauslösenden Situationen aufgesucht. Trainiert wird die Konfrontation mit angstmachenden Situationen, wie sie für den Patienten typisch sind, aber auch wie sie in der Alltagswelt des Durchschnittsbürgers auftreten können. Nach den Intensivtagen zusammen mit dem Therapeuten soll der Patient die Übungen täglich allein fortsetzen.

Durch die massierte Reizkonfrontation soll möglichst rasch und intensiv eine Konfrontation mit den gefürchteten körperlichen, kognitiven und emotionalen Reaktionen erreicht werden. Ohne Erleben und Bewältigung der intensivsten Reaktionsmöglichkeiten (Panikattacke) besteht eine potentielle Rückfallsgefahr und eine große Erwartungsangst vor dem Schlimmsten, dem man sich nicht gewachsen sieht. Erwartungsängste sollen dadurch abgebaut und für die Zukunft verhindert werden.Bei der Reizüberflutungstherapie werden Angst-Panik-Reaktionen in der realen phobischen Umwelt ausgelöst und dort zugleich adäquate Bewältigungsstrategien eingeübt. Dieses Ziel kann durch gestuftes Vorgehen oder durch parallel laufende Medikation niemals erreicht werden, weil dadurch die für Angstpatienten so typische “Angst vor der Angst” nicht überwunden wird. Durch das Erlebnis, dass auch die stärkste Angst ausgehalten werden kann und nach einiger Zeit (5-20 Minuten) zurückgeht, erfolgt gleichzeitig auch eine “kognitive Umstrukturierung”, die durch eine ausschließlich kognitive Therapie (Analyse und Änderung der Denkmuster) nicht so effektiv erreicht werden kann (“Ich erlebe, dass ich Angst aushalten kann, daher glaube ich auch zukünftig, dass ich Angst aushalten kann”).

Expositionstherapie

Durch eine Expositionstherapie sind oft schon nach einer Woche all jene Ängste im Griff, die vielleicht schon seit Jahren das Leben massiv eingeengt haben. Dies bringt zwar die schnellsten und sichersten Erfolge, scheint jedoch nur Mutigen und gut Belastbaren vorbehalten zu sein. Eine massierte Reizkonfrontations­therapie ist besonders bei Phobien mit Panikattacken und Vermeidungsverhalten (Kleintierphobie, Agoraphobie, soziale Phobie) angezeigt, weil die Betroffenen dazu neigen, Panikattacken durch Vermeidungsstrategien zu bewältigen, die in weiterer Folge die Angst vor der Angst nur verstärken und langfristig die Gefahr einer sekundären Depression oder eines Alkohol- bzw. Medikamentenmissbrauchs in sich bergen.

Bei Phobien mit Angstsymptomatik und Meidung, jedoch ohne Panikattacken, ist eine gestufte Reizkonfrontation auf der Basis von Selbsthilfebüchern sinnvoll, wenngleich therapieverlängernd. Das beste Agoraphobie-Selbsthilfeprogramm stammt von Mathews, Gelder und Johnston aus London, das von Hand und Fisser-Wilke in Hamburg übersetzt und seit den 80er Jahren erfolgreich eingesetzt und erforscht wurde. Hausübungen, wie sie in Form einer eigenständigen, gestuften Angstkonfrontation jedem Patienten gegeben werden können, entsprechen dem Prinzip der Verhaltenstherapie, dass sich Veränderungen nicht so sehr in den therapeutischen Sitzungen, sondern vielmehr in den Zeiträumen zwischen den Therapiestunden ereignen.

Erwartungsängste

Erwartungsängste bezüglich einer Katastrophe (Panikattacke) sind am besten durch Simulation bzw. Provokation einer solchen zu behandeln, weil über die konkrete Erfahrung, dass keine Katastrophe eintritt, die falschen Denkansätze der Patienten am schnellsten und überzeugendsten korrigiert werden können.Das Grundprinzip lautet: Realitätstestung statt Phantasieren. Ziel ist eine realistischere Einschätzung von Situationen und körperlichen Reaktionen.

Durch Konfrontationen mit gefürchteten Situationen, deren konkrete Gefahren vorher oft gar nicht angegeben werden können, wird deutlich, ob eher eine Angst vor den eigenen körperlichen Reaktionen besteht (wie dies bei einer Panikstörung der Fall ist) oder eher eine Angst vor der Reaktion der Umwelt (wie dies bei einer sozialen Phobie zutrifft). Verschiedene Agoraphobiker mit Panikstörung haben keine Angst zu sterben, sondern eine Angst, unangenehm aufzufallen, oder für verrückt gehalten zu werden.

Marks beschreibt in seinem populärwissenschaftlich verfassten Buch “Ängste. Verstehen und bewältigen” einem großen Leserkreis durch Beispiele, warum das Prinzip der Konfrontation ohne Flucht so wichtig ist:”Um Phobien im Keim zu ersticken, lautet die goldene Regel: Vermeiden Sie Flucht! Fördern Sie die Konfrontation mit der Angst. Nach einem plötzlichen Unfall vergeht oft eine gewisse Zeit, bevor eine Phobie entsteht. Wenn der Betreffende in diesem Zeitraum der ursprünglichen Situation noch einmal unmittelbar ausgesetzt wird, bewahrt ihn das davor, sich vor ihr zu fürchten. Es ist eine alte Erkenntnis, dass Menschen unmittelbar nach dem ursprünglichen Trauma die traumatische Situation noch einmal durchleben sollten.

Piloten wird geraten, nach einem Flugunfall absichtlich sobald als möglich wieder zu fliegen, und Autofahrern wird empfohlen, sich nach einem Zusammenstoß sobald wie möglich wieder ans Steuer zu setzen. Wenn man von einem Pferd stürzt, ist es das Beste, gleich wieder aufzusteigen.”Der Erfolg von Konfrontationstherapien hängt sehr davon ab, dass die Betroffenen durch ein plausibles Erklärungsmodell von der Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens überzeugt werden können. Dies setzt nicht nur eine optimale Vermittlung von Sachinformationen und technischen Anleitungen voraus, sondern auch eine gute Therapeut-Patient-Beziehung, durch die ein Mensch mit Angstzuständen erst Vertrauen und Zuversicht entwickeln kann.

Emotionale Unterstützung

Die meisten phobischen Patienten wissen im Prinzip, auf welche Weise sie ihre Ängste überwinden könnten, nämlich durch etwas mehr Mut und Konfrontation mit den angstmachenden Situationen, doch gerade dazu sind sie nicht in der Lage. Angst vor bestimmten Situationen zu haben, bedeutet, sich selbst nicht trauen zu können, aber auch sonst niemand. Konfrontationstherapien sind daher Übungen des Vertrauens.Angstpatienten benötigen gerade zu Beginn der Therapie eine emotionale Unterstützung, Motivierung und Handlungsanleitung durch den Therapeuten. Die Entscheidung zu Angstbewältigungsübungen allein oder zusammen mit dem Therapeuten stellt einen Ausdruck des Vertrauens zum Therapeuten dar.

Entsprechende Übungen innerhalb und außerhalb des Therapieraumes führen zu einer Intensivierung der Therapeut-Patient-Beziehung, so dass es später möglich wird, verschiedene persönliche Themen in die Therapie einzubringen. Die therapeutische Beziehung ist in der Verhaltenstherapie ebenso wichtig wie bei anderen Psychotherapiemethoden. Die “Verhaltens”-Therapie wird durch die Übungen auch zu einer “Erlebens”-Therapie, wie der Angst- und Zwangsexperte Reinecker zu sagen pflegt.Die meisten Patienten machen durch eine Konfrontationstherapie die bisher für unmöglich gehaltene Erfahrung, dass sie auch die größte körperliche Erregung ertragen können. Wiederholte Erlebnisse dieser Art bewirken eine kognitive Umstrukturierung: neue Erfahrungen führen zu neuen Einstellungen. In vielen Therapien sowie auch bei rein kognitiv orientierter Verhaltenstherapie läuft es umgekehrt: neue Sichtweisen sollen zu neuen Erfahrungen führen. Dies ist zwar oft der elegantere Weg, scheitert bei Angststörungen jedoch häufig an den unkontrollierbar erscheinenden körperlichen Symptomen und dem seit Jahren eingeschliffenen Vermeidungsverhalten.

Aufgrund ihrer relativ stabilen Persönlichkeitsstruktur gelingt es Agoraphobikern (ausgenommen verschiedene Personen mit sozialer Phobie) oft recht leicht, nach einem Angstbewältigungstraining weitere anstehende Probleme selbst zu lösen (z.B. partnerschaftliche, familiäre oder berufliche Probleme).Menschen mit generalisierter Angststörung, schweren Zwangsstörungen und ängstlich-vermeidender Persönlichkeitsstörung benötigen dagegen aufgrund ihrer frühkindlichen Beeinträchtigungen bzw. schweren sozialen Defizite meistens eine längere Therapie. Psychoanalytiker sprechen hier von ich-stärkenden Maßnahmen und “Nachreifung”.

Die Alternative “kurz-oberflächliche Verhaltenstherapie oder lang-tiefschürfende Psychoanalyse” ist heutzutage überholt. Agoraphobiker mit Panikattacken fürchten letztlich nicht verschiedene äußere Gegebenheiten, sondern ihre eigenen unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen in diesen Situationen. Eine Konfrontationstherapie soll Angstpatienten helfen, ihre Symptome besser auszuhalten. Den Betroffenen kann es anfangs manchmal so vorkommen, als sollten sie in der Therapie dasselbe nochmals versuchen, das sie selbst schon oft erfolglos probiert haben, nämlich Angst und Panik mutiger zu ertragen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Frage: “Ich weiß, ich habe die Panikattacken bisher immer ausgehalten und überlebt, aber geht es nicht doch irgendwie ohne diese Attacken?”

Bei der Konfrontationstherapie geht es nicht darum, schnell etwas “wegzumachen”, sondern das Erlebte vorerst einmal besser annehmen und aushalten zu lernen, um über diese Erfahrungen einen besseren Zugang zu sich selbst zu erhalten. Dies entspricht gestalttherapeutischen Konzepten (“awareness”, “experiencing”).

Realitätstestung

Oft reicht schon eine einmalige (zweistündige) Realitätstestung aus, um das weitere Vermeidungsver­halten zu beenden und den Betroffenen vor Augen zu führen, welche anderen Probleme vielleicht zum Vorschein kommen (berufliche oder partnerschaftliche Probleme, Konflikte zwischen Mutterschaft und Berufswunsch bei Frauen bzw. zwischen Autonomiewünschen der Ehefrau und Dominanzstreben des Gatten usw.). Wo dies der Fall ist, werden bereits durch eine kurze Konfrontationstherapie die zugrunde liegenden Probleme auch für den Patienten deutlich, ohne dass der Therapeut den Betroffenen des Widerstands gegen diese Erkenntnis beschuldigen muss.Eine Konfrontationstherapie verhindert Depression und Dauerstress und kann nach Hand bei Phobikern als antidepressive Therapie angesehen werden. Agoraphobiker entwickeln oft als Folge der nicht bewältigbar erscheinenden, lebenseinengenden Ängste eine ausgeprägte Depression mit reduziertem Selbstwertgefühl. Beeindruckende Anfangserfolge durchbrechen die depressiv gefärbten Versagensängste, stärken das Selbstvertrauen und die Hoffnung auf einen erfolgreichen Therapieabschluss.

Viele Phobiker haben so starke Erwartungen des eigenen Versagens in phobischen Situationen, dass sie die ersten Erfolgserlebnisse bald entwerten durch die neuerliche Vorstellung möglicher Gefahren. Dies erfordert weitere Übungen, um die Erwartung von Erfolgserlebnissen aufzubauen.

Überholte Verhaltenstherapien

In England wurden im Laufe der Zeit durch verschiedene Studien einige Konzepte der verhaltenstherapeutischen Angstbehandlung revidiert. Demnach schadet das Verlassen der Situation bei Angst dem Therapieerfolg ebenso wenig wie die Anwesenheit des Therapeuten nützt. Rachman, einer der Mitbegründer der Verhaltenstherapie, stellte ein zentrales Prinzip der traditionellen verhaltenstherapeutischen Angstbewältigung in Frage. Die Reaktionsverhinderung, d.h. das Prinzip, angstmachende Situationen zum Zeitpunkt größter Angst nicht zu verlassen, ist nach 1986 publizierten Forschungsergebnissen für den Therapieerfolg nicht unbedingt notwendig. Die Rachman-Gruppe stellte gleich hohe Therapieerfolge fest, wenn den Patienten erlaubt wurde, die phobischen Situationen zu verlassen, sobald sie ein hohes Angstniveau erreicht hatten.

Die Therapieerfolge nach dem Hamburger Konzept, das Flucht grundsätzlich “erlaubt”, scheinen diesen Befund indirekt zu bestätigen. Nach verschiedenen Autoren ist als gemeinsamer Nenner aller erfolgreichen Angstbehandlungen die Konfrontation mit den angstmachenden äußeren und inneren Reizen anzusehen, die zu einer kognitiven Neubewertung körperlicher Reaktionen und situativer Gegebenheiten führt.

Die Forderung, in der angstmachenden Situation unbedingt auszuharren und erst nach Abklingen der Angst den jeweiligen Aufenthaltsort zu verlassen, weist auf die lerntheoretischen Wurzeln der Konfrontationstherapie hin: durch das Vermeidungsverhalten erfolge keine ausreichende “Löschung” des Angstverhaltens, weil dieses durch die erfolgreiche Aktion der Flucht immer wieder verstärkt werde. Dies trifft zwar oft zu, eine Verallgemeinerung ist daraus jedoch nicht ableitbar. Die Möglichkeit zur Flucht kann ein Gefühl der Souveränität vermitteln und das Aushalten der Angst erleichtern.

Phobiker Studie

Das Team um Marks in London bestätigte im Rahmen einer großen Studie an 99 phobischen Patienten die Ergebnisse anderer Untersuchungen, dass sich die meisten Phobiker wesentlich verbessern durch systematische Selbstkonfrontation und wenig profitieren von zusätzlicher therapeutengeleiteter Exposition. Die in der klinischen Praxis oft anzutreffende Konfrontationstherapie in Begleitung eines Therapeuten scheint demnach unter dem Gesichtspunkt von Aufwand und Ertrag nicht erforderlich zu sein. Amerikanische Studien zur Behandlung von Panikattacken weisen ebenfalls darauf hin, dass ein reduzierter Therapeutenkontakt oft schon einen ausreichenden Therapieerfolg garantiert. Die Erkenntnisse der englischen und amerikanischen Studien haben zur Folge, dass der Stundenaufwand für Therapeuten bei Angstbehandlungen deutlich reduziert werden kann, weil das gemeinsame Üben in Alltagssituationen entfällt.

Zumindest in günstigen Fällen können körperbezogene Übungen und Erfahrungen in Gegenwart des Therapeuten auf den Therapieraum begrenzt werden, ähnlich wie dies z.B. in der Gestalttherapie erfolgt.Bei Konfrontationstherapien geht es nicht primär darum, die Patienten mit gefürchteten Situationen oder Orten zu konfrontieren, sondern mit den dabei auftretenden, als gefährlich und unkontrollierbar erlebten Symptomen. Wenn dies im Therapieraum durch bestimmte Provokationsübungen gelingt, wird das selbständige Aufsuchen der gefürchteten Situationen erleichtert. Sollte dies nicht möglich sein, werden genau jene Situationen aufgesucht, wo die gefürchteten körperlichen Zustände auftreten.Bei einer Konfrontationstherapie geht es weniger um Bewältigungserfahrungen im Sinne von “Sie sehen, was Sie alles aushalten können”, als vielmehr darum, den Patienten im Rahmen einer verbesserten Selbstwahrnehmung zu zeigen, wie sie selbst den gefürchteten Angstkreislauf aufschaukeln.

Im Sinne eines zeitökonomischen Vorgehens sind keine stunden- oder tagelangen gemeinsamen Übungen erforderlich, um dem Patienten in jeder nur denkbaren Situation das Gefühl der Kontrolle zu vermitteln, sondern lediglich eine gezielte Auswahl von panikprovozierenden Situationen. Ohne Bereitschaft zum Erleben einer ausgeprägten Panikattacke sind Stadtübungen bei Agoraphobie mit Panikstörung wenig sinnvoll, weil aufgrund der Erwartungsängste kein ausreichender Generalisierungseffekt auftritt.

Zentren für Konfrontationstherapien

Die massierte Reizkonfrontation mit anschließender Reaktionsverhinderung (kein Verlassen der angstmachenden Situation, nicht durch Zwang, sondern durch eigene Entscheidung) sollte aus zeit- und geldökonomischen Gründen sowie aufgrund der Forschungsergebnisse das Mittel der Wahl bei Agoraphobie mit Panikattacken sein. Im deutschen Sprachraum gibt es neben den verschiedenen psychosomatischen Fachkliniken verhaltenstherapeutischer Ausrichtung und zahlreichen anderen Behandlungsstätten zwei große Zentren, an denen seit vielen Jahren Konfrontationstherapien bei zahlreichen Patienten durchgeführt und empirisch überprüft werden:

  • Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie in Münster, Marburg, Dresden und Braunschweig (Leiter der Stiftung: Prof. Wolfgang Fiegenbaum).
  • Verhaltenstherapie-Ambulanz der psychiatrischen Universitätsklinik in Hamburg (Ärztlicher Leiter: Prof. Iver Hand).
    Daneben gibt es ein integratives Behandlungskonzept des Münchner Psychologie-Professors Willi Butollo, das die Expositionstherapie mit einer gestalttherapeutischen Gruppentherapie verbindet. Dabei steht das emotionale Erleben im Vordergrund.

In den psychosomatischen Fachkliniken in Deutschland wird nach derartigen Angstbehandlungsprogrammen gearbeitet, z.B. in der Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, die sehr zu empfehlen ist. Auf Antrag übernehmen auch die österreichischen Krankenkassen die Kosten (gewöhnlich Befürwortung durch einen Nervenfacharzt).

Das Modell der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische PsychologieDie Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie wurde 1989 durch den Schweizer Industriellen Dornier gegründet mit dem Ziel, den Fortschritt der Psychologie als Wissenschaft und deren Anwendung zur Lösung konkreter Lebensprobleme zu fördern. Die Stiftung hat ihren Hauptsitz in Münster und weitere Zentren in Marburg, Braunschweig, Dresden und Berlin, andere sollen folgen. Am besten ausgebaut sind derzeit die Behandlungsmöglichkeiten im Christoph-Dornier-Centrum für Klinische Psychologie in Münster. Die Intensivtherapie erfolgt dort im Rahmen eines hotelartigen Aufenthalts. Das Behandlungszentrum umfasst 48 Einzelzimmer.Bei rund 80% der in den ersten 5 Jahren in Münster behandelten 800 Angstpatienten (davon zwei Drittel Frauen) war die Therapie erfolgreich. Die Therapie findet ohne jede medikamentöse Unterstützung statt, um alle erreichten Erfolge der eigenen Leistung zuschreiben zu können. Das ganze Behandlungskonzept soll eine Alternative darstellen zur traditionellen Einzeltherapie in der freien Praxis, die höchstens mehrstündige Sitzungen erlaubt, aber auch zu einem oft mehrmonatigen Klinikaufenthalt, der die Betroffenen zu lange aus ihrer Alltagsrealität herausnimmt. Nach einem eintägigen ambulanten Diagnostik- und Informationstag haben die Betroffenen mehrere Tage Bedenkzeit, um sich für oder gegen den erstellten Behandlungsvorschlag entscheiden zu können.

Expositionstherapie

Die Expositionstherapie umfasst eine gewöhnlich 1-2 Wochen dauernde Intensivtherapie, wobei täglich 6-10 Stunden lang in Alltagssituationen außerhalb der Therapieeinrichtung geübt wird, angstmachende Situationen zu bewältigen. Die Behandlung besteht aus einer reinen Einzeltherapie, die aufgrund einer vorherigen intensiven Verhaltensanalyse genau auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten wird.

Es werden möglichst viele verschiedene Situationen ausgewählt (Fahrten mit Privatauto, Schnellzug, Bus, Straßenbahn, U-Bahn, Taxi, Lift, Boot, Seilbahn, Stadtrundfahrt, Flug in eine andere Stadt mit Übernachtung in einem Hotel, Essen in einem überfüllten Lokal sowie in einem Zugrestaurant, Theaterbesuch, Saunabesuch, Aufenthalt in Großkaufhäusern, Bummeln in überfüllten Fußgängerzonen, Besteigung von Türmen, Spaziergang im Wald, Sprechen in der Öffentlichkeit usw.).

Von Beginn an erfolgt eine Konfrontation mit den am stärksten angstmachenden Situationen, wobei die Patienten an der Ausführung ihres Vermeidungsverhaltens gehindert werden, was in der Informationsbroschüre ausdrücklich vermerkt ist. Die angstmachenden Situationen werden stets erst nach vollständigem Abklingen der Angst verlassen. Die Therapie erfolgt anfangs zusammen mit einem Therapeuten, so bald als möglich allein, d.h. die Therapeut-Patient-Beziehung wird nach einigen Tagen auf die tägliche Vorbereitung und Auswertung der Expositionsübungen beschränkt. Die spätere Eigentherapie am Heimatort wird vorbereitet und durch telefonische Kontakte unterstützt. Eine kürzere stationäre Wiederaufnahme ist möglich.

Minimale Intervention

Die Angstbewältigungstherapie beschränkt sich nach dem Prinzip der “minimalen Intervention” in der Regel auf die Expositionsbehandlung und verzichtet bewusst auf die Durchführung komplexer Therapieprogramme im Sinne einer Breitbandtherapie. Die über die Angst hinausgehenden Störungen werden durch ambulante Therapieeinrichtungen in der Wohngegend der Patienten behandelt, zu denen ein enger Kontakt gesucht wird. Das Hamburger ModellIn der Verhaltenstherapie-Ambulanz der psychiatrischen Universitätsklinik in Hamburg wird folgende Anleitung zur massierten Reizkonfrontation gegeben, die primär in Form einer Gruppentherapie erfolgt:

“Lassen Sie alle aufkommenden Gefühle zu, beobachten und beschreiben Sie (anfangs bei therapeutenbegleiteten Übungen oft lautes Verbalisieren erforderlich, später in innerer Selbstsprache) die Realität Ihrer Umgebung und die Reaktionen Ihres Körpers; gehen Sie nicht Ihren Phantasien über möglicherweise gleich eintretende schreckliche oder katastrophale Ereignisse nach – versuchen Sie aber auch nicht, Ihre Angst oder andere unangenehme Gefühle durch irgendwelche Gedanken oder Verhaltensmanöver zu unterdrücken; wenn auf diese Weise die Situation für Sie scheinbar unerträglich wird, versuchen Sie, sich weitere 10 Sekunden zu geben, um in der Situation zu bleiben und mit der Beschreibung der äußeren und inneren Realität fortzufahren; vergleichen Sie dann, ob die eingetretenen Reaktionen Ihren Erwartungen entsprechen und entscheiden Sie, ob Sie noch weitere 10 Sekunden ausharren können (usw. usw.).”Die Konzentration auf die unmittelbare Gegenwart durch Beobachtung des Körpers und Verbalisierung der aktuellen Erfahrungen soll Katastrophenphantasien verhindern.

Nachteile Langzeittherapeutenbegleitung

Die fortlaufende Selbstbeschreibung der äußeren und inneren Realität (anfangs laut in Anwesenheit des Therapeuten) soll vor allem auch die kontinuierliche Konzentration auf die angstmachenden Reize sowie auf die aktuelle Körperwahrnehmung sicherstellen und die gewohnten Vermeidungsmanöver unterbinden. Eine Langzeittherapeutenbegleitung bei der Reizkonfrontation wird abgelehnt:”Im allgemeinen genügen 2 jeweils 2- bis 5stündige Sitzungen, um eine Symptomreduktion zu erreichen und weitere Expositionen vom Patienten durchführen zu lassen. Ist diese bis dahin nicht eingetreten, liegt meist eine von 2 denkbaren Komplikationen vor:

Die erste besteht in Motivationsproblemen hinsichtlich eines Abbaus der Symptomatik oder eines Aufbaus alternativer Verhaltensweisen. In so einem Falle werden fortgesetzte Expositionsübungen Ersatzrituale für Symptomrituale oder auch kurzfristiger Lebensinhalt; der Therapeut unterstützt mit dieser Scheinlösung nur die Ambivalenz des Patienten im Hinblick auf Veränderungen in relevanten Problembereichen. Die zweite denkbare Komplikation besteht im Ausbleiben der psycho-physiologischen Habituation trotz voller Kooperation des Patienten. Längeres Fortsetzen der Übungen wird dann eher die allgemeine Irritierbarkeit im Alltagsleben erhöhen, als einen späteren Erfolg bringen.

“Im Hamburger Modell der Reizüberflutung ist die Konfrontation mit den angstauslösenden realen oder imaginären Reizen lediglich Mittel zum Zweck der Konfrontation mit den eigenen Reaktionen, den dadurch ausgelösten Gedanken, Gefühlen und körperlichen Reaktionen des Betroffenen (Reizüberflutung zur Herbeiführung einer Reaktionsüberflutung). Dabei wird nicht selten erkannt, dass andere Affekte als Angst die körperliche Symptomatik bewirken (z.B. Ekel, Ärger, Aggression, Depression, Leeregefühl, traumatische Erfahrungen, die bislang verdrängt wurden). Eine derartige Konfrontationstherapie berücksichtigt Elemente aus anderen Psychotherapiemethoden: Psychoanalyse, Gestalttherapie, Psychodrama und bestimmte Gruppentherapien.Bei guter Mitarbeit des Patienten kann die Konfrontation mit den angstauslösenden Reizen in der Realität reduziert oder gar überflüssig werden. Wenn im Therapieraum durch Gespräche, Vorstellungsübungen oder Provokationstechniken (z.B. Hyperventilation, Einleitung eines Drehschwindels, bestimmte Bewegungen) eine panikähnliche Symptomatik auch ohne Konfrontation mit den realen Reizen ausgelöst und deren Bewältigung vermittelt werden kann, ist dem Patienten anschließend häufig die eigenständige Angstbewältigung möglich, da auch dort der kompetente Umgang mit den eigenen Reaktionsmustern entscheidend ist.

Oft können die Betroffenen bereits im Therapieraum lernen, jene psychovegetativen Reaktionen (z.B. Herzrasen, Atemnot, Schwindel, Ohnmachtsangst) auszulösen und zu bewältigen, die in Realsituationen am meisten gefürchtet werden. Durch die Übungen wird auch die Patient-Therapeut-Beziehung intensiviert, was nach der Symptombehandlung den Einstieg in andere emotional schmerzliche Problembereiche erleichtert.Hand weist darauf hin, dass die möglichen Auswirkungen einer raschen Symptombeseitigung auf die eheliche Beziehung rechtzeitig beachtet werden müssen:

“Von großer Bedeutung kann allerdings die Vorbereitung der Partner von Agoraphobikern auf einen raschen Symptomabbau sein. Besonders nach jahre- oder jahrzehntelangem Krankheitsverlauf mit starker Einengung der Beweglichkeit auch des Partners, kann der in der Regel innerhalb von 3- bis 5tägiger Expositionsbehandlung eintretende starke Symptomabbau bei dem Partner zu aggressiven Reaktionen statt zur Entlastung führen: wenn es so leicht war, die Krankheit zu beheben, dann kann diese auch lange nicht so ‚schwer’ gewesen sein, wie es all die Jahre den Anschein hatte. Der Partner fühlt sich im nachhinein getäuscht und missbraucht und sinnt nun auf ‚Wiedergutmachung’…”

Das Hamburger Modell unterscheidet sich in verschiedenen Punkten vom Modell der Christoph-Dornier-Stiftung

  1. Geographischer Umfang der durchgeführten Reizkonfrontation. Dem Team um Hand reicht im Kontext des beschriebenen Angst-Managements eine Reizüberflutung in und um Hamburg bzw. am Wohnort, bevorzugt also in der natürlichen Umwelt des Patienten, während in der Christoph-Dornier-Stiftung unbedingt auf große Entfernungen und möglichst viele, auch eher seltene Lebenssituationen (hohe Berge, Fliegen, Ausland) Wert gelegt wird, d.h. auf Reisen über hunderte von Kilometern in kurzer Zeit. Die Hamburger Verhaltenstherapeuten halten dagegen nichts von therapeutenbegleiteten Fernreisen (außer vielleicht bei einer massiven Flugphobie). Am Therapiekonzept der Christoph-Dornier-Stiftung kann kritisiert werden, dass nicht jede Angst, die in allen nur möglichen und unmöglichen Situationen auftreten kann, vorbeugend behandelt werden muss. Es reicht, dass Angstpatienten jene Situationen meistern lernen, die im alltäglichen Leben zu erwarten sind.
  2. Art der Aktivierung emotionaler und physiologischer Angstkomponenten bei der Reizkonfrontation. Nach dem Konzept der Christoph-Dornier-Stiftung kommt es bei der Angstbewältigung primär darauf an, durch ausreichend lange Dauer der Reizkonfrontation den Patienten den Effekt der Gewöhnung (Habituation) an die angstmachende Situation erfahrbar zu machen. Die Patienten sollen die körperlichen Alarmreaktionen erleben und besser ertragen lernen. Das Hamburger Konzept verwendet die Reizkonfrontation auch gezielt zu einer erweiterten Selbsterforschung und Problemanalyse der Patienten im Zustand hoher emotionaler Erregung. Dies kann manchmal eine “kathartische Entblockung”, d.h. eine heilsame emotionale Entladung, bewirken. Frühere, dem Bewusstsein bislang nicht mehr zugängliche traumatische Erlebnisse und Erfahrungen können bewusst werden. Nach dem Modell der Christoph-Dornier-Stiftung werden derartige Aspekte nach der Durchbrechung des Vermeidungsverhaltens bei Bedarf von Therapeuten am Heimatort behandelt.
  3. Art der Reaktionsverhinderung. Im Hamburger Modell behält der Patient die volle Entscheidung darüber, ob er die angstmachende Situation verlassen will oder nicht, wenngleich er zum Durchhalten ermutigt wird. In der Christoph-Dornier-Stiftung unterschreiben die Patienten, dass sie bei Fluchtverhalten vom Therapeuten daran gehindert werden dürfen. Nach Hand widerspricht dies dem Selbstmanagement-Konzept und stellt eine “passagere Entmündigung” des Patienten dar. Dies sei ethisch bedenklich und therapeutisch unnötig (weit über 90% derer, die die angstmachende Situation kurz verlassen haben, nehmen die Übung wieder auf).
  4. Art des Settings (Einzel- oder Gruppentherapie). Im Hamburger Modell erfolgt die Reizkonfrontationstherapie vorwiegend in Gruppen, in der Christoph-Dornier-Stiftung dagegen stets in Form einer Einzeltherapie.

Integrative Angstbewältigungstherapie nach ButolloDer Münchner Psychologieprofessor Butollo arbeitet nach einem integrativen, therapieschulenübergreifenden Behandlungsmodell, das gegenwärtig in seiner Wirksamkeit überprüft wird. Es handelt sich dabei um eine Integration von Verhaltenstherapie und Gestalttherapie unter Berücksichtigung systemischer Aspekte:

  1. Zu Therapiebeginn wird mit Hilfe einer Reizkonfrontationstherapie die agoraphobische Symptomatik im Rahmen einer Einzeltherapie durchbrochen. Dabei wird von Anfang an großer Wert auf “awareness” gelegt, d.h. auf das “Gewahr-Sein” der aktuell ablaufenden Prozesse. Im Mittelpunkt steht die Wahrnehmung der momentanen körperlichen und emotionalen Reaktionen sowie die Wahrnehmung von Beziehungen (ähnlich wie dies auch im Konzept von Hand erfolgt). Es geht um eine Schulung der Selbstwahrnehmung ohne sofortige Beeinflussung der ablaufenden Prozesse. Das Therapieziel ist nicht einfach, die Angst besser aushalten zu lernen, sondern sich selbst besser wahrnehmen und erleben zu lernen. Die bewusste Hinwendung auf die körperlichen und emotionalen Vorgänge vor und während eines Angstzustandes verhindert die ständigen kräfteraubenden Abwehrversuche von befürchteten Zuständen, die nicht erträglich erscheinen und daher ständige Erwartungsängste vor etwas nicht Bewältigbarem aufrechterhalten.
  2. Nach der Konfrontationstherapie wird die Behandlung für Interessierte nach den Methoden der Gestalttherapie fortgesetzt (individuelle Gestaltarbeit in der Gruppe). Es handelt sich dabei um eine gestalttherapeutische Gruppentherapie von 10 Sitzungen, die nach einer Therapiepause von 3-4 Monaten durch einen weiteren Block von 10 Sitzungen ergänzt wird. Im Mittelpunkt steht dabei die “emotionale Exposition”, d.h. der Kontakt mit Angst und allen Arten von Emotionen (Aggression, Trauer, Depression usw.). Menschen mit Angststörungen können gut umgehen mit “Angst-Vermeiden”, nicht jedoch mit “Angst-Haben”. Die Überzeugung, Angst aushalten zu können, statt sie durch “Löschen” überwinden zu müssen, soll gestärkt werden. Bei der Konfrontationstherapie sei das lerntheoretische Paradigma der Löschung von Angst im Vordergrund gestanden statt das Wahrnehmen, Erleben und Ausdrücken von Emotionen, wie dies besonders von der Gestalttherapie betont werde.
  3. Durch die Gruppentherapie werden auch systemische Aspekte berücksichtigt, denn Ängste stellen versteckte Beziehungsbotschaften dar. Wenn die Angststörung nicht mehr im Vordergrund steht, wird die Kontaktstörung deutlicher sichtbar und behandelbar. Dann zeigt sich, dass die Angst die Funktion hatte, die Beziehungsstörung zu verdecken. Nach Butollo weisen viele Menschen mit Angststörungen eine dependente Persönlichkeitsstruktur auf, d.h. eine starke Abhängigkeit von Bezugspersonen. Dies wiederum hängt oft mit einer lebensgeschichtlichen Entwicklung zusammen, die durch frühkindliche Traumata geprägt wurde. Verlusterfahrungen und Beziehungsabbrüche haben zu einer großen Unsicherheit und Beeinträchtigung des Vertrauens in die Welt geführt. Der Gegenpol von Angst ist Vertrauen, das gerade Angstpatienten nach negativen Lebenserfahrungen erst wieder aufbauen müssen.
  4. Im Einzelfall werden auch unerledigte traumatische Erfahrungen bearbeitet. Häufig stellt Angst die Folge eines Traumas dar, d.h. einer schweren seelischen Verwundung zumeist in der Kindheit.

Weitere Verbesserungen der verhaltenstherapeutischen AngstbewältigungstherapieZur weiteren Effizienzsteigerung der Angstbewältigungstherapie werden neben der kognitiven Therapie nach Beck immer häufiger auch systemische (familien- und partnerbezogene) Sichtweisen berücksichtigt, ein Trend, der in der Verhaltenstherapie ganz allgemein festzustellen ist. Dies kann auf vier verschiedene Arten erfolgen:

  1. Stärkere Berücksichtigung interaktioneller bzw. partnerschaftlicher Aspekte im Rahmen einer Einzeltherapie (wie bei einer systemisch orientierten Einzeltherapie).
  2. Partnerunterstützte Einzeltherapie. Einbeziehung des Partners im Rahmen einer primär am Patienten ausgerichteten Therapie. Der Einsatz des “gesunden” Partners als Kotherapeut ist dann unproduktiv, wenn dieser selbst an der Entstehung oder Eskalation der Angststörung beteiligt ist. Das Hamburger Team hat mit der Einbeziehung des Partners in das Selbsthilfeprogramm oft schlechte Erfahrungen gemacht.
  3. Verhaltenstherapeutische Partnertherapie (Kommunikations- und Problemlösetraining) nach einer erfolgreichen Einzeltherapie (Konfrontationstherapie).
  4. Partnertherapie anstelle einer Konfrontationstherapie oder als zusätzliche Behandlungskomponente. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung systemischer Sichtweisen innerhalb der Verhaltenstherapie erfolgt oft eine kombiniert verhaltenstherapeutisch-systemisch ausgerichtete Partnertherapie.

Bei der Behandlung von Menschen mit Angst- und Panikzuständen, die zu einer körperlichen Schonhaltung neigen, ist oft auch eine körperbezogene Therapie mit dem Ziel der physiologischen Aktivierung und Symptomprovokation angezeigt. Das traditionelle Erlernen von Entspannungstechniken (z.B. autogenes Training) zur Dämpfung von chronischer Anspannung ist zwar durchaus wichtig und wertvoll, dient bei dieser Patientengruppe jedoch zu sehr dem Zweck, jede Form von Anspannung wegen des angsterzeugenden Effekts wegentspannen zu wollen. Wenn die körperliche Ebene bei einer starken Somatisierung zur stellvertretenden Konfliktebene geworden ist, wird nicht nur durch Medikamente, sondern auch durch reine Entspannungstechniken keine Sensibilisierung dafür entwickelt, was wirklich körperlich so bedrängend ist.

Ein körperorientiertes Vorgehen war in der Verhaltenstherapie zu sehr auf spannungsmindernde Methoden bezogen oder sollte durch eine Konfrontationstherapie nur eine Habituation an die angstmachenden Reize bewirken. Zukünftig sind vermehrt Konzepte und Techniken zu berücksichtigen, die anderswo unter folgenden Bezeichnungen bekannt sind: körperorientierte Psychotherapie, Leibtherapie, Sporttherapie.Körperliche Aktivierung und körperbezogene Erfahrungen dienen nicht nur im Sinne von Belastungstraining, Sport, Turnen, Langsamlauftherapie oder Schwimmtherapie dazu, chronische Verspannungszustände als Folge des ständigen ängstlichen Denkens abzureagieren oder körperliche Fitness anstelle der ausgeprägten hypochondrischen Schonhaltung aufzubauen, sondern haben vielmehr auch den Zweck, den Körper im buchstäblichsten Sinn als Ausdruck der Seele wahrnehmen zu lernen.Psychotherapie als geplante Intervention zur Veränderung des Verhaltens, Erlebens und Denkens bedarf zukünftig auch im verhaltenstherapeutischen Setting stärker als bisher eines Verständnisses, das den Körper als Ort und Mittel für den Zugang zur Seele ernstnimmt.Anleitung zur Konfrontationstherapie für Psychotherapeuten

25 Ratschlage

25 Ratschläge sollen erfahrenen Psychotherapeuten aller Methoden die Durchführung einer Konfrontationstherapie bei Agoraphobie mit und ohne Panikstörung ermöglichen. Potentielle Verhaltenstherapiepatienten werden durch diese Darstellung informiert, auf welche Behandlungsprinzipien ein Verhaltenstherapeut achtet bzw. achten sollte.

  1. Führen Sie eine detaillierte Motivations-, Bedingungs-, Verhaltens- und Funktionsanalyse des Angstverhaltens durch, bevor Sie aktionsorientiert vorgehen. Lassen Sie sich auf keinen blinden Aktionismus ein. Eine Konfrontationstherapie erfordert stets die Einbettung in eine therapeutische Gesamtstrategie.
  2. Klären Sie alle Kontraindikationen ab (Psychose in der Anamnese, gegenwärtig primäre Depression, Herzerkrankung, Epilepsie, Entzugssymptomatik, aktuell notwendige, hohe medikamentöse Dosierung). Vermeiden Sie auf diese Weise gefährliche Situationen (z.B. Provokation eines Herzanfalls, epileptischen oder psychogenen Anfalls, Durchbruch psychotischer Ängste, Risiken bei Borderline-Persönlichkeitsstörung, depressiver Zusammenbruch, verstärkte Angstabwehr durch Zwangssymptome, Misserfolgserlebnis bzw. noch mehr Angst bei geringer Übungsmotivation).
  3. Achten Sie genau auf das Ausmaß der Eigen- bzw. Fremdmotivation für eine Konfrontationstherapie. Will der Betroffene seine Störung wegen sich oder primär wegen des ständigen Drängens anderer (z.B. Kritik des Partners) loswerden?
  4. Verschaffen Sie sich einen Überblick darüber, welche anderen Probleme und Störungen neben der Angstsymptomatik noch gegeben sind. Sind die Angstsymptome die primäre Störung oder die sekundäre Folge anderer Störungen (z.B. Depression, Erschöpfungszustände, Alkoholmissbrauch usw.)?
  5. Finden Sie heraus, wie die Angststörung entstanden ist, und durch welche Bedingungen sie gegenwärtig aufrechterhalten wird. Achten Sie anfangs nur darauf, wie Sie die aktuellen, problemerhaltenden Bedingungen unterbrechen können.
  6. Beurteilen Sie, wie sehr die Ängste Ausdruck einer Hemmung und Vermeidungshaltung bzw. Ausdruck mangelnder sozialer Kompetenz sind.
  7. Nehmen Sie eine Abgrenzung zwischen intraindividuellen und interaktionellen Funktionen der Angstsymptome vor. Wenn Sie eine Konfrontationstherapie im Rahmen einer Individualtherapie durchführen, sollten Sie die möglichen Auswirkungen auf die Partner- und Familiensituation beachten und thematisieren.
  8. Sprechen Sie (wenn möglich) mit dem Partner bzw. der Bezugsperson des Betroffenen über die Konsequenzen einer schnellen Symptomreduktion für die Partnerschaft. Welche Auswirkungen hätte die plötzliche Angstfreiheit auf die Partnerschaft? Der Partner ist auf eine rasche Änderung oft nicht vorbereitet, so dass eventuell Partnerschaftsprobleme resultieren könnten, die durch rechtzeitige Vorbeugung zumindest gemildert werden könnten. Oft kann der “gesunde” Partner mit der plötzlichen Symptomfreiheit nicht umgehen.
  9. Erklären Sie den Patienten vor Übungsbeginn das Konzept von Angst und ihrer Reduktion. Die Entwicklung eines adäquaten Gesundheitsmodells im Sinne des Wissens darum, wie man gesund wird, beschleunigt und stabilisiert Erfolge, die oft falschen Erklärungskonzepte der Patienten für ihre psychovegetativen Symptome verstärken die Ängste (Herzinfarkt, “Nervenzusammenbruch”, Verrücktwerden).
  10. Achten Sie darauf, dass Psychopharmaka nur allmählich abgesetzt (“ausgeschlichen”) werden. Der plötzliche Verzicht auf Tranquilizer und Antidepressiva kann zu Panikattacken führen. Benzodiazepine sollten wenigstens 2 Wochen vor Beginn der Konfrontationstherapie abgesetzt werden, weil sonst die Erfolge den Medikamenten zugeschrieben werden und die eigene Leistung geschmälert wird (diese Behauptung ist neuerdings umstritten und empirisch nicht ausreichend abgesichert, so dass auch eine Kombinationstherapie möglich ist). Antidepressiva können bei entsprechender Indikation weiter eingenommen werden. Nach verschiedenen Studien bringt die Kombination von Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie (mit bestimmten angstdämpfenden Antidepressiva wie den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern) bei schweren Angststörungen die raschesten Erfolge.
  11. Verwenden Sie für die Beschreibung des Ausmaßes der Angst eine Angst-Skala (von 0-10), um ein einfaches Veränderungsmaß zu haben, das ohne lange Erklärungen eine rasche Therapeut-Patient-Kommunikation über die aktuelle Befindlichkeit ermöglicht.
  12. Begleiten Sie den Patienten in die angstbesetzte Situation und unterstützen Sie ihn bei der Konfrontation mit den wichtigsten angstauslösenden Situationen, entweder gestuft (üben Sie von leichten bis schweren Situationen) oder massiert (beginnen Sie mit den am meisten angstmachenden Situationen). Ermutigen Sie den Patienten, möglichst die massierte Vorgangsweise zu wählen. Wenn der Patient die Konfrontationstherapie ohne Ihre Anwesenheit durchführt, empfehlen Sie ihm ein gutes Selbsthilfebuch (z.B. das Buch “Platzangst” von Mathews, Gelder und Johnston, das Hand und Fisser-Wilke für den deutschen Sprachraum adaptiert haben).
  13. Bauen Sie durch Ihre wohlwollende Unterstützung die Motivation des Patienten ständig immer weiter auf. Sie verhindern dadurch eine manchmal auftretende Resignationsneigung.
  14. Verstärken Sie das Verbleiben in der angstbesetzten Situation, bis die Angst deutlich abgenommen hat. Ein Verlassen der Angstsituation zum Zeitpunkt der größten psychovegetativen Erregung führt dazu, dass der Misserfolg am Abschluss der Übung emotional stärker erinnert wird als der anfängliche Erfolg, was zur Folge hat, dass entsprechende angstmachende Situationen zukünftig immer weniger aufgesucht werden.
  15. Wenn ein Meidungsverhalten auftritt, schlagen Sie dem Patienten etwas später, d.h. noch im Rahmen desselben Übungstages, das Wiederaufsuchen der gemiedenen Situation vor.
  16. Die Entscheidung zum (Wieder-)Aufsuchen oder Verlassen einer Situation verbleibt immer beim Patienten. Schränken Sie den Patienten keinesfalls durch einen entmündigenden Therapievertrag ein und üben Sie keinen Zwang zum Durchhalten aus. Der Patient ist für sein Leben und Verhalten selbst verantwortlich. Vor einem vom Patienten gewünschten Abbruch der Übung diskutieren Sie mit ihm über die Folgen seines Verhaltens, um ihn dadurch vielleicht zum Durchhalten ermutigen zu können.
  17. Wiederholen Sie auch bereits gemeisterte leichtere Situationen, um das Erfolgserleben des Patienten zu verstärken.