Verlauf und Folgen der posttraumatischen Belastungsstörung

Die Störung kann nach der Dauer der Symptome in drei Formen auftreten

  • akut: weniger als 3 Monate lang,
  • chronisch: mindestens drei Monate oder länger (bei ca. 40-50%),
  • mit verzögertem Beginn: zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome sind mindestens 6 Monate vergangen (dies ist eher selten).

Der Verlauf einer posttraumatischen Belastungsstörung ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle ist jedoch eine Heilung möglich, oft allerdings erst nach Jahren. Die Störung beginnt gewöhnlich innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, kann aber auch Monate oder sogar Jahre später auftreten. Die Symptome halten unterschiedlich lange an. Bei der Hälfte der Fälle verschwinden die Symptome innerhalb von 3 Monaten.

Die Störung kann einen derart chronischen Verlauf nehmen, dass es zu einer tiefgreifenden Veränderung der Persönlichkeitsstruktur kommt. Diese ist nicht durch eine verstärkte Ausprägung primärer Persönlichkeitszüge charakterisiert, sondern durch das Auftreten neuer Symptome, die vorher nicht bestanden haben (feindliche und misstrauische Haltung der Welt gegenüber, sozialer Rückzug, Entfremdung, Gefühl der Leere oder Hoffnungslosigkeit, chronische Nervosität wie bei ständiger Bedrohung). Man spricht dann nach dem ICD-10 von einer “andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung”.

Bei Kriegsteilnehmern oder Überlebenden aus Vernichtungslagern traten die traumatischen Bilder (“Holocaust”-Erfahrungen) auch nach vier Jahrzehnten unverändert lebendig und belastend auf, wie Nachuntersuchungen ergaben.

Berichte über jahrelange psychische Störungen gibt es auch über die Opfer von Flugzeugentführungen (z.B. über die Passagiere des 1977 nach Mogadischu entführten deutschen Flugzeugs, die durch den Einsatz der deutschen Antiterrortruppe befreit wurden) oder über die Opfer von Geiselnahmen, die mit dem Tod bedroht wurden.

Beispielhaft sollen die Folgen einer Technikkatastrophe angeführt werden. Bei einer Flugschau in Ramstein in der Pfalz stießen 1988 zwei Flugzeuge einer italienischen Kunstflugstaffel zusammen, ein explodierender Düsenjäger stürzte in die Zuschauermenge, tötete 70 Menschen und verwundete weitere 450 Menschen. Vom Schock des Absturzes haben sich viele Überlebende jahrelang nicht vollständig erholt. Tiefflieger eines nahegelegenen US-Stützpunkts lösten später erneut Panikattacken aus. Psychisch unauffällige Menschen litten plötzlich unter Alpträumen, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörung, Lustlosigkeit, Heißhunger oder Appetitverlust.

Eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt sich nicht allein aufgrund der objektiven, sondern vielmehr aufgrund der subjektiv wahrgenommenen Bedrohlichkeit eines Traumas. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung besteht ein erhöhtes Risiko für Panikstörung, Agoraphobie, Zwangsstörung, soziale Phobie, spezifische Phobie, Depression, Somatisierungsstörung und Medikamentenmissbrauch.

Über 90% der Vergewaltigungsopfer entwickeln eine Angst davor, alleine zu sein oder alleine auszugehen während der Dunkelheit, während der Nacht oder alleine zu schlafen. Aus dem Bedürfnis nach Sicherheit zu Hause entstehen nicht selten Kontrollzwänge bezüglich verschlossener Türen und Fenster.

Das Bewusstsein der persönlichen Unverletzlichkeit wurde bei vielen Frauen durch die Erfahrung einer Vergewaltigung auf Monate oder Jahre hin zerstört. Vergewaltigungsopfer tendieren stärker zu Rückzugsverhalten als Kriegsveteranen.

Eine repräsentative Studie an 1500 Vergewaltigungsopfern fand bei 35% eine posttraumatische Belastungsstörung. Bei den Opfern einer versuchten Vergewaltigung war der Anteil 14%.

Von 1600 repräsentativ ausgewählten Vietnam-Kriegsveteranen wiesen fast ein Viertel der Männer, die an einer akuten posttraumatischen Belastungsstörung litten, gleichzeitig auch eine Alkoholabhängigkeit bzw. einen Alkoholmissbrauch auf, während dies bei Vietnam-Kriegsveteranen ohne posttraumatische Belastungsstörung nur auf 10% zutraf. Mehr als einer von 20 männlichen Vietnam-Kriegsveteranen mit posttraumatischer Belastungsstörung hatte ein Drogenproblem (Missbrauch oder Abhängigkeit).

Lebenszeitbezogen erfüllten von den Männern mit einer akuten posttraumatischen Belastungsstörung fast drei Viertel die Kriterien für Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit und 10% die Kriterien für Drogenmissbrauch/-abhängigkeit. Bei 2009 landesweit untersuchten amerikanischen Frauen, die Opfer eines Gewaltverbrechens geworden waren, hatten die Opfer mit posttraumatischer Belastungsstörung ein 3,2-fach erhöhtes Risiko einer Alkoholproblematik und ein 3,4-fach erhöhtes Risiko einer ernsthaften Drogenproblematik im Vergleich zu Opfern ohne posttraumatische Belastungsstörung.

Grundsätzlich ist bei den in Behandlung stehenden Personen die Doppeldiagnose von posttraumatischer Belastungsstörung und Substanzmissbrauch viel eher gegeben als in der Allgemeinbevölkerung.

Durch eine spezielle Befragung von 72% der umfangreichen amerikanischen Stichprobe im Rahmen der NCS-Studie konnten erstmals repräsentative Daten zur posttraumatischen Belastungsstörung gewonnen werden (N = 5877).

7,8% der amerikanischen Bevölkerung leiden im Laufe ihres Lebens unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, innerhalb des letzten Monats trifft dies auf 2,3% der Bevölkerung zu. Aufgrund einer detaillierteren Nachbefragung einer kleinen Gruppe Betroffener durch Experten (die nationale Untersuchung erfolgte durch trainierte Interviewer) ergibt sich der Eindruck, dass der tatsächliche Prozentwert sogar noch etwas höher anzusetzen ist. Die Daten lassen sich jedoch nicht so einfach auf Europa übertragen (z.B. größere Gewalthäufigkeit und Bewaffnung in den USA).

Eine posttraumatische Belastungsstörung war lebenszeitbezogen bei 10,4% der Frauen und 5,0% der Männer festzustellen, d.h. bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern. Von den Befragten berichteten 51,2% der Männer und 60,7% der Frauen von mindestens einem traumatischen Erlebnis in ihrem Leben.

Bei Frauen handelte es sich dabei um folgende Ereignisse: Feuerkatastrophe (15,2%), Zeuge eines Unglücks wie Verletzung oder Tötung eines anderen (14,5%), lebensbedrohlicher Unfall (13,8%), Schock (12,4%), sexuelle Belästigung (12,3%), Vergewaltigung (9,2%), körperliche Attackierung (6,9%), Bedrohung mit der Waffe (6,8%), körperliche Misshandlung (4,8%), Vernachlässigung in der Kindheit (3,4%), anderes Trauma (2,7%).

Bei Männern waren folgende traumatische Erfahrungen gegeben: Zeuge eines Unglücks wie Verletzung oder Tötung eines anderen (35,6%), lebensbedrohlicher Unfall (25,0%), Bedrohung mit der Waffe (19,0%), Feuerkatastrophe (18,9%), Schock (11,4%), körperliche Attackierung (11,1%), Kampfeinsatz (6,4%), körperliche Misshandlung (3,2%), sexuelle Belästigung (2,8%), Vernachlässigung in der Kindheit (2,1%), Vergewaltigung (0,7%), anderes Trauma ( 2,2%).

Das Trauma, das am häufigsten zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führte, war bei Frauen und Männern die Vergewaltigung, und zwar bei 55,5% der Betroffenen. (Eine deutsche Studie an 14-24jährigen ergab mit 50% eine ähnliche Rate). Bei Frauen folgten weiters körperliche Misshandlung, Bedrohung mit der Waffe, sexuelle Belästigung, körperliche Attackierung und Vernachlässigung in der Kindheit, bei Männern insbesondere Kampferfahrung, körperliche Misshandlung, Vernachlässigung in der Kindheit, sexuelle Belästigung, Unfall und Schockerlebnis.

Von den Frauen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung gaben 29,9% Vergewaltigung und 19,1% sexuelle Belästigung als Auslöser der Störung an. Dies entspricht der Hälfte der Betroffenen. Von den Männern mit einer posttraumatischen Belastungsstörung gaben 28,8% Kampferfahrung und 24,3% das Erlebnis des Unglücks (Verletzung oder Tötung) eines anderen Menschen als Trauma auslösend an.

Die posttraumatische Belastungsstörung dauerte bei denen, die professionelle Hilfe suchten, durchschnittlich 36 Monate, bei den anderen durchschnittlich 64 Monate. Dies weist auf die Wirksamkeit von Hilfsangeboten hin. Bei etwas mehr als einem Drittel der Betroffenen blieb die Störung über viele Jahre unverändert bestehen, und zwar sowohl bei jenen, die Hilfe suchten, als auch bei jenen, die keine Hilfe suchten.

Untersuchungen an vergewaltigten Frauen sowie an Kriegsteilnehmern haben ergeben, dass der Schweregrad des Stressors, d.h. die Stärke der Traumatisierung (große Brutalität), zu einer stärkeren posttraumatischen Belastungsstörung führte.

Die Störung ist oft besonders schwer und langandauernd, wenn das Trauma nicht durch Katastrophen, sondern durch Menschen verursacht wurde, weil dabei gezielt eine Erniedrigung und Zerstörung des Selbstwertgefühls der Betroffenen angestrebt wurde (z.B. Terror, Folterung, Vergewaltigung durch mehrere Männer) bzw. durch die Beseitigung aller kommunikativen Strukturen eine totale soziale Isolierung geschaffen wurde (z.B. mehrjähriges Festhalten einer Geisel in einem finsteren Keller).

Die posttraumatische Belastungsstörung ist um so ausgeprägter

  • je größer die eigene Gefährdung und Betroffenheit war,
  • je mehr Todesgefahr oder Verletzung direkt erlebt wurde,
  • je enger und intimer die Beziehung zum Täter war,
  • je länger das traumatische Geschehen andauerte.

Bestimmte Persönlichkeitsfaktoren oder psychische Erkrankungen, die bereits vor dem schrecklichen Erlebnis gegeben waren, können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf verstärken, sind aber weder nötig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Belastende Umstände vor der Traumatisierung haben einen Einfluss auf die Überwindung des Traumas.

Die Wahrscheinlichkeit der Entstehung und langen Dauer einer posttraumatischen Belastungsstörung wird erhöht durch das Vorhandensein ausgeprägter moralischer Konflikte, eine bereits vor dem Trauma gegebene Beeinträchtigung durch eine Depression oder Angststörung sowie das Unverständnis der sozialen Umwelt.

Frauen entwickelten nach einer Vergewaltigung eher bzw. in stärkerem Ausmaß eine posttraumatische Belastungsstörung, wenn sie bereits vorher unter Depressionen, Ängsten, emotionalen Belastungen, Verlusterfahrungen (Tod eines nahen Angehörigen außer dem Ehepartner) und sexuellen Misshandlungen gelitten hatten. Frauen, die weniger unter den Folgen der Vergewaltigung litten, hatten im letzten Jahr davor weniger Veränderungen zu bewältigen.