Kurzbeschreibung Soziale Phobie

Soziale Phobien bestehen in der Furcht vor der kritischen Betrachtung durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen (nicht dagegen in Menschenmengen) und führen schließlich dazu, dass soziale Situationen vermieden werden. Eine Sozialphobie besteht im Wesentlichen aus einer Beurteilungsangst. Die Betroffenen wissen zwar, dass ihre Ängste übertrieben oder unbegründet sind, sie können ihr Angst- und Vermeidungsverhalten aber nicht kontrollieren.

Rund jeder Zehnte (8-13 Prozent der Bevölkerung) leidet im Laufe seines Lebens einmal an einer Sozialphobie. Die soziale Phobie stellt nach Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit und depressiven Störungen die dritthäufigste psychische Störung dar. Das Gefährliche: wenn sie nicht erfolgreich behandelt wird, kann sie sich zur „Einstiegsstörung“ in schwerere psychische Störungen (Alkohol- und Medikamentenmissbrauch, Depressionen, schwere Angststörungen) entwickeln.

Sozialphobiker können sich vor denselben Situationen wie Agoraphobiker fürchten, jedoch aus anderen Gründen, nämlich wegen der unerträglichen sozialen Beachtung und Beurteilung der eigenen Person. Ihre Gedanken kreisen beispielsweise um Fragen wie „Was werden sich die anderen von mir denken?“, „Bestimmt halten sie mich für dumm“, „Ich könnte mich blamieren“. Nicht selten greifen Sozialphobiker in ihrer Not zu Ausreden und Ausflüchten, wie „Ich kann nicht mehr so viel fortgehen wie früher, weil ich so viel Arbeit habe“, „Ich kann leider nicht mit ins Kino, ich muss noch eine total wichtige Arbeit erledigen“.

Ein zentrales Kriterium lautet: die körperlichen und psychischen Symptome sind ausschließlich auf die gefürchteten Situationen sowie auf die Gedanken daran beschränkt. Wenn jemand also etwas allein und ohne Angst ausführen kann, was in Gegenwart anderer große Angst macht, bestätigt sich dadurch die Diagnose einer sozialen Phobie eindeutig.

Typische Situationen, in denen unangemessen starke Ängste vor sozialen Situationen in auftreten, sind

  • sich in Gegenwart anderer äußern, in der Öffentlichkeit eine Rede halten,
  • bei einem bestimmten Anlass öffentlich in Erscheinung treten,
  • Personen des anderen Geschlechts ansprechen,
  • Essen und Trinken mit anderen (das Glas oder die Tasse heben ohne Zittern),
  • Teilnahme an Gruppenaktivitäten (Partys, Feiern, Treffen, Verabredungen, Geschäftsessen),
  • telefonische Kontakte,
  • unter Beobachtung anderer schreiben oder eine Unterschrift leisten,
  • in einer Leistungssituation von anderen beobachtet werden (z.B. bei einer Arbeit),
  • sportliche Betätigung, während andere zuschauen (z.B. Gymnastik, Schwimmen),
  • Teilnahme bei Tests und Wettbewerben,
  • beim Rotwerden, Zittern oder Schwitzen sich beobachtet fühlen,
  • in einem Lokal in der Mitte sitzen,
  • in öffentlichen Verkehrsmitteln anderen gegenübersitzen und dabei auffallen,
  • Erstkontakte mit fremden Menschen (z.B. anderen Personen vorgestellt werden),
  • Besuch öffentlicher Toiletten,
  • Bewerbungsgespräche vornehmen,
  • Autoritätspersonen oder Prüfern u.ä. gegenübertreten.

Als Folge der Angst treten in sozialen Situationen auch verschiedene körperliche Symptome auf, die wie eine Spirale die Furcht aufzufallen noch mehr verstärken, etwa Erröten, Schwitzen, Herzrasen, Händezittern, Vermeiden von Blickkontakt, Versagen bzw. Veränderung der Stimme, Übelkeit mit Brechreizneigung, Harn- oder Stuhldrang. Situationsabhängige Panikattacken sind oft als Ausdruck einer ausgeprägten Sozialphobie und nicht einer Agoraphobie zu verstehen.

Erste Anzeichen einer Sozialphobie sind oft eine ausgeprägte Schüchternheit oder Zurückhaltung, später resultieren daraus auch oft verschiedene berufliche oder private Probleme. Soziale Phobien hängen oft mit einem niedrigen Selbstwertgefühl zusammen. Häufig wird Alkohol als Bewältigungsstrategie eingesetzt. Ein Selbstsicherheitstraining ist angezeigt.

Grundsätzlich kann man vier Formen sozialer Ängste unterscheiden, die die ganze Bandbreite von normal bis krankhaft umfassen

  • Lampenfieber („Bammel“): normale, situationsgebundene soziale Angst.
  • Soziale Phobie: situationsgebundene, krankhafte Angst.
  • Schüchternheit: normale, generalisierte soziale Angst.
  • Ängstlich-vermeidende Persönlichkeit: generalisierte, krankhafte soziale Angst im Sinne eines Persönlichkeitsfaktors.

Auch Kinder können bereits unter einer sozialen Phobie leiden. Bei ihnen zeigen sich soziale Ängste am häufigsten in Form der Schulphobie und der „klassischen“ Prüfungsangst. Oder sie fürchten, von anderen ausgelacht und damit ausgegrenzt zu werden, wenn die anderen als Gruppe und damit als bestimmende Mehrheit erlebt werden. Schüler mit einer sozialen Phobie schneiden wegen ihrer Prüfungsängste und des häufigen Fehlens in der Schule bei Prüfungen meist schlechter ab als andere Kinder, was die Angst vor Leistungsbeurteilungen erst recht wieder verstärkt.

Nach dem Ausmaß der Generalisierung unterscheidet man zwei Arten von sozialen Phobien

  1. Spezifische soziale Phobien
  2. Generalisierte soziale Ängste

Spezifische soziale Phobien

Spezifische soziale Ängste beziehen sich auf Reden, Essen oder Schreiben in der Öffentlichkeit sowie auf bestimmte Leistungssituationen (Prüfung, Vorträge, sportliche Betätigung usw.). Die Angst bewirkt eine Hemmung von an sich vorhandenen Fertigkeiten und geht mit belastenden körperlichen Symptomen einher.

Eine spezifische Sozialphobie wird auch „Sozialphobie vom Leistungstyp“ genannt, weil die sozialen Ängste nur in ganz bestimmten Situationen auftreten, und zwar dann, wenn eine Leistung im weitesten Sinn zu erbringen ist. Die Störung ist also begrenzt auf spezifische Leistungssituationen vor den Augen anderer Menschen, während in allen anderen Bereichen eine gute soziale Funktionsfähigkeit gegeben ist. Eine Konfrontationstherapie ist oft hilfreich.

Als Auslöser dient häufig ein einschneidendes Erlebnis (z.B. Ausgelachtwerden beim Stottern während eines Referats, Verspottung bei einer ungeschickten Turnübung, Händezittern beim Schreiben an der Tafel). Dabei trat – von den anderen oft unbemerkt – die erste Panikattacke oder eine panikähnliche Reaktion auf.

Soziale Ängste vom Leistungstyp führen oft wegen der damit verbundenen körperlichen Symptome zu einer plötzlichen Veränderung des Betroffenen, die der Umwelt völlig unerklärlich erscheint, vor allem wenn der Betroffene vorher als kontaktfreudig und selbstbewusst galt.

Eine spezifische Sozialphobie beginnt gewöhnlich im 16. oder 17. Lebensjahr und hängt oft mit situativ bedingten Panikattacken zusammen. Die Beeinträchtigungen zeigen sich meist im schulischen und beruflichen Bereich. Bei zahlreichen Betroffenen wirkt sich die Sozialphobie vom Leistungstyp erst später sehr belastend aus, vor allem wenn sie im Rahmen eines beruflichen Aufstiegs im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer stehen.

Generalisierte soziale Ängste

Generalisierte soziale Ängste beziehen sich auf vielfältigste soziale Situationen und beruhen häufig auf einer allgemeinen Selbstunsicherheit, sodass ein Selbstsicherheitstraining angezeigt ist. Die Betroffenen fürchten sowohl öffentliche Leistungssituationen (vor anderen reden, essen schreiben usw.) als auch alle möglichen soziale Situationen (z.B. Kontaktaufnahme mit Fremden oder Personen des anderen Geschlechts).

Im Laufe der Zeit kommt es zu schweren Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen, sodass soziale, schulische und berufliche Probleme auftreten. Die Störung ist oft mit einer depressiven Symptomatik oder mit Alkoholmissbrauch verbunden. Eine generalisierte Sozialphobie hängt immer mit mangelnden sozialen Fertigkeiten und einer allgemeinen Selbstunsicherheit zusammen.

Häufig liegen zwar ausgeprägte soziale Defizite zugrunde, dennoch wird mit einer „generalisierten Sozialphobie“ insgesamt eher der ängstlich-gehemmte Sozialphobiker bezeichnet, während die schweren Formen sozialer Defizite als Persönlichkeitsstörung beschrieben werden. Man spricht dann von einer ängstlichen (vermeidenden) bzw. einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung.

Generalisierte soziale Ängste beginnen gewöhnlich schon sehr früh auf (durchschnittlich mit 11-12 Jahren), jedenfalls vor dem 15. Lebensjahr.