Systemische (Familien-) Therapie

Die Systemische Therapie entstand in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts an unterschiedlichen Plätzen auf der Welt. Sie basiert auf der Entdeckung, dass viele psychische Symptome im Rahmen der Familie entstehen und in diesem Kontext “sinnvoll” sind. Fritz B. Simon, einer der Pioniere der Systemischen Theorie gebraucht ein anschauliches Beispiel dafür, wie manches Verhalten nur im größeren Kontext zu verstehen ist: Ein Mann, der – ganz in Schwarz gekleidet – auf einer Wiese herumrennt, gelegentlich mit den Armen fuchtelt und immer wieder in seine Trillerpfeife pustet, wirkt ziemlich verrückt, außer man zieht in die Betrachtung seines Verhaltens die zweiundzwanzig anderen Männer, ein Stadion voller Zuschauer und natürlich einen Fußball mit ein. So ist es mit vielen psychischen Störungen ebenfalls. Was auf den ersten Blick verrückt und sinnlos erscheint und für den Betroffenen oft quälend ist, hat seine ganz eigene sinnvolle Entstehungsgeschichte und einen tieferen Sinn im familiären System.

Wie dieser Sinn aussieht, das ist von Familiensystem zu Familiensystem unterschiedlich, weshalb die systemische Therapie auch weniger störungs- oder symptombezogen arbeitet, sondern sich nach den hintergründigen Dynamiken der Familie richtet. Nicht selten findet man “missglückte” und verfestigte Lösungsversuche als Ursache. Ein ganz einfaches und nahe liegendes Beispiel ist ein Kind mit Panikattacken, dessen Eltern sich der eigenen Sprachlosigkeit und Gefährdung ihrer Ehe nicht stellen müssen, solange sie sich mit dem Kind und “seinen” Problemen beschäftigen können. Sind solche oder ähnliche Zusammenhänge erst einmal “entdeckt” oder rekonstruiert, dann lassen sich die Störungen in einem neuen Kontext verstehen und würdigen (“Reframing”) und lösen sich dadurch viel leichter auf. Systemische Therapie arbeitet mit unterschiedlichen Techniken wie sogenannten “Genogrammen” (einer Art Familienstammbäumen), zirkulären Fragen, der Symptomverschreibung oder z.B. Familienskulpturen oder -aufstellungen.

Die Systemische Therapie hat also keine störungsspezifische Theorie über die Entstehung von Angst- und Panikstörungen, sondern sucht die “Entstehungsgeschichte” eines Problems im Familiensystem. Faszinierend ist oft die Leichtigkeit und Schnelligkeit der systemischen Behandlungen. Viele Kurzzeittherapien wurden auf dem Hintergrund der systemischen Therapie entwickelt. Andererseits fehlt manchmal das störungsspezifische Wissen, das in der Behandlung der biologischen Aspekte einer Panikreaktion auch hilfreich sein kann.

Therapieansatz

Der klassisch aus der Systemischen Familientherapie entwickelte Ansatz sieht das familiäre System bzw. das organisatorische System eines Unternehmens als Ressource, auf dem aufbauend das einzelne Mitglied sowohl seine Fähigkeiten und Stärken entwickeln, als auch Verhaltensstörungen entwickeln kann. Zeigt ein Mitglied der Gruppe psychische oder Verhaltensauffälligkeiten, so wird der Betreffende als Symptomträger für das Gesamtsystem betrachtet. Dies kann sich beispielsweise in typischen privaten Konflikten mit dem Partner oder in immer wiederkehrenden Problemen mit Kunden oder Kollegen zeigen.

Systemische Therapie kann als Klinische Sozialarbeit verstanden werden. Klinische Sozialarbeit ist eine gesundheitsspezifische Fachsozialarbeit (“klinisch” bedeutet “behandelnd”). Ihr generelles Ziel ist die Einbeziehung der sozialarbeiterischen Aspekte in die Beratung, Behandlung und Unterstützung von exkludierten(isolierten), gefährdeten, erkrankten und behinderten Menschen. Fokus ist die Person-in-ihrer-Welt (person-in-environment) im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Verständnisses von Gesundheit, Störung und sozialer Probleme.

Vorgehensweise

Die Elemente der Systemischen Beratung beziehen generell ganzheitliche Fragestellungen mit ein. Anliegen oder als schwierig und konflikthaft empfundene Situationen betrachtet der Therapeut oder Coach aus verschiedenen Beziehungsebenen. Hierbei gilt eine Analogie aus der Physik: Je nach Standort finden Sie auf die scheinbar gleiche Frage mehrere “richtige” Antworten. Der Standort definiert sich hier durch das System, durch das Element und seine Beziehungen zu anderen Elementen.

Systemische Beratung ermöglicht den Beteiligten:

  • die Wahrnehmung neuer, bisher unbekannter Perspektiven
  • Verständnis für die Haltung der übrigen Beteiligten
  • die Analyse von Mustern in Kommunikations- und Interaktionsvorgängen
  • angemessene Interventionen
  • die ganzheitliche Hypothesenbildung

Mit dieser Zielvorstellung wird dann der eigentliche, auf Veränderung und Ressourcenkräftigung gerichtete beraterische Prozess gesteuert. Einzelne Bausteine dieser Pragmatik ergeben sich aus der Beschreibung der einzelnen Module:

  • Arbeit mit analogen Gestaltungen und verbalen Visualisierungen
  • Zirkuläre Fragen, die den Standpunkt Dritter wiedergeben
  • Skalenfragen, zur Fokussierung von Unterschieden und Fortschritten
  • positives Konnotieren, die wertschätzende Haltung gegenüber zirkulären Ursachen
  • Umdeutung (Reframing) von Verhaltenskontexten, um die Bewertung der Verhaltensweisen zu verändern
  • Paradoxe Intervention, gegenläufige Ratschläge die den Teilnehmer in Bewegung bringen
  • Hausaufgabe für zwischen den Sitzungen, oft i.S. einer Paradoxen Intervention
  • Metaphernarbeit, Parabeln und Geschichten als indirekte Aufforderung doch selbst zu handeln
  • gezieltes provokatives Aussprechen möglicher Annahmen betroffener Kommunikationsteilnehmer
  • Ausnahmen zu erlebter Wahrnehmung beharrlich erfragen, nötigenfalls durch Paraphrasieren
  • Gestaltarbeit, die Übersetzung ausgedrückter Stimmungen mit Händen und dem Körper des Teilnehmers
  • hypothetische Verankerung positiver Entwicklungsszenarien mittels Konjunktion
  • Skulptur, darstellen von Familienbeziehungen als Standbild im Raum
  • Genogramm, Soziogramm, die grafische Darstellung der sozialen Beziehungen im System.