Attacken im Schlaf

Zwischen Ängsten und Schlafstörungen bestehen oft enge Wechselbeziehungen. Der Umstand, dass Angstsymptome oft typische Erscheinungen der meisten psychisch bedingten Schlafstörungen sind, wird derzeit noch zuwenig beachtet. Nächtliche Angst tritt in verschiedenen Formen und bei unterschiedlichen Störungen auf :

  • Panikstörung. Es erfolgt ein abruptes Erwachen mit starker Angst aus leichtem bis mitteltiefem Schlaf. Die körperlichen Begleitsymptome (z.B. Atemnot, Herzrasen) werden als lebensbedrohlich erlebt. Es besteht eine leichte Ein- und Durchschlafstörung. Die Symptomatik verschlechtert sich durch Schlafdefizite.
  • Generalisierte Angst. Charakteristisch sind angstvoll-besorgtes Grübeln und frei flottierende Ängste beim Einschlafen sowie in nächtlichen Wachphasen. Die ständige Angst, Anspannung und Unruhe bewirkt eine unspezifische Schlafverschlechterung mit Ein- und Durchschlafproblemen und einen Verlust an Tiefschlaf.
  • Posttraumatische Belastungsstörung. Es besteht ein wechselndes Muster von Alptraumerwachen mit schweren Ein- und Durchschlafstörungen und Rückzug in vermehrten Tiefschlaf mit verminderter REM-Schlaf-assoziierter Traumerinnerung (REM = rapid eye movement, d.h. Augenbewegungen bei geschlossenen Lidern, wie sie im Traumschlaf typisch sind).
  • Pavor nocturnus. Nach 1½ – 3 Stunden Schlaf, d.h. in der ersten Schlafhälfte, erfolgt ein abruptes und schreckhaftes Erwachen aus dem Tiefschlaf, verbunden mit einem plötzlichen Schrei und einige Minuten lang dauernder ängstlich-verwirrter Erregung, anschließend gelingt das Wiedereinschlafen problemlos, am Morgen kann man sich an nichts mehr erinnern. Panikattacken unterscheiden sich davon durch ihr Auftreten während des Übergangs vom leichten in den mitteltiefen Schlaf, die erhaltene Orientierung, die funktionierende Intelligenz nach dem Erwachen und deutlich größere Schwierigkeiten, wieder einschlafen zu können.
  • Alptraumerwachen. Man erwacht meist in der zweiten Nachthälfte aus einem REM-Schlaf (Traumschlaf). Der meist relativ lange, Angst und Furcht auslösende Traum wirkt gefühlsmäßig und körperlich in den folgenden Wachzustand hinein. Die vegetativen Begleitsymptome der Angst flauen meistens nach einigen Minuten ab. Die Angst vor dem Wiederauftreten der Alpträume verursacht oft eine Wiedereinschlafstörung. Alpträume hängen oft mit unverarbeiteten psychischen Problemen zusammen, nicht selten auch mit anderen Faktoren, z.B. Absetzen von Medikamenten, die den Traumschlaf unterdrücken, wie dies bei Tranquilizerschlafmitteln (Hypnotika) oder trizyklischen Antidepressiva der Fall ist, so dass in Gegenreaktion darauf Alpträume auftreten. Es kann sich aber auch um den Ausdruck einer Entzugssymptomatik bei Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit handeln, wo oft langdauernde Schlafstörungen gegeben sind.
  • Schlaflosigkeit (Insomnie). Es besteht eine Ein- und Durchschlafstörung mit nächtlichem Erwachen im Zustand der Anspannung und Unruhe, begleitet von Herzrasen und Schwitzen. Es besteht keine Traumerinnerung, auch nicht bei REM-Schlaf-Erwachen. Hellwachgefühl, geistige Überaktivität, Ärger, ängstliche Selbstbeobachtung und angstvolles Gedankenkreisen um Alltagsprobleme während des Wachliegens charakterisieren den Zustand der Schlaflosigkeit. Es besteht eine Angst vor der kommenden Nacht und ein erhöhtes abendliches Aktivierungsniveau. Selbst einfache Belastungen (z.B. bestimmte Filme) verschlechtern den Schlaf, wenn sie Unsicherheit und Ängste auslösen. Schlaflosigkeit wird oft durch psychosoziale Stressfaktoren bewirkt.
  • Depression. Depressive Patienten haben oft große Ein- und Durchschlafstörungen, die von Angstsymptomen begleitet sind. Nächtliche Wachperioden sind durch ängstliche Anspannung, Grübeln und vegetative Begleitsymptome charakterisiert. In der Praxis zeigt sich oft die Symptomtrias von Depression, Angst und Schlafstörung, die die Erstellung der Hauptdiagnose erschwert, noch dazu, wenn eine ängstlich-depressive Mischsymptomatik besteht. Die Nebenwirkungen der Medikamente, mit denen diese Beschwerden behandelt werden, können die Schlafstörung verstärken.
  • Rebound-Störung (Angst als Medikamentenabsetzphänomen). Nächtliche Angstgefühle, Ein- und Durchschlafstörung, Unruhe und Nervosität treten nach schnellem Absetzen von abhängig machenden Beruhigungs- und Schlafmitteln auf. Erneute Einnahme beseitigt die Symptomatik, ein allmähliches Ausschleichen des Medikaments verhindert derartige Zustände. Gerade bei Einnahme von nur kurz wirksamen Tranquilizerschlafmitteln (geringe Halbwertszeit wie z.B. bei Halcion®) kann ein Rebound-Phänomen auch bei regelmäßiger abendlicher Einnahme den Betroffenen in den Morgenstunden verfrüht und mit Angst erwachen lassen.
  • Schlafapnoesyndrom. Man bekommt beim Schlafen zuwenig Luft, weshalb ein abruptes, angstvolles Erwachen mit Atemnot, Herzrasen und Beklemmungsgefühlen auftritt. Das Erwachen erfolgt im Zusammenhang mit nächtlichen Atempausen, vor allem bei Schnarchern. Der Schlaf ist wenig erholsam, es treten morgendliche Kopfschmerzen, internistische Begleiterkrankungen (arterielle Hypertonie, Herzrhythmusstörungen) und erhöhte Tagesmüdigkeit bzw. Schläfrigkeit auf. Patienten mit Verdacht auf ein Schlafapnoesyndrom haben nicht selten eine Angststörung.
    Panikattacken können durch Entspannung und Schläfrigkeit beim abendlichen Liegen im Bett ausgelöst werden, ohne vorheriges ängstliches Grübeln. Eventuell auftretende Muskelzuckungen stellen eine elektrische Entladung vorher angespannter Muskelgruppen dar, was erst durch die Bewertung als gefährlich panikauslösend wirkt. Mehr als die Hälfte der Panikpatienten erlebt Panikattacken im Schlaf und entwickelt deshalb oft eine Angst vor dem Einschlafen. Aus Angst vor einem Herzinfarkt und dem Tod in der Nacht möchten viele Betroffene im Bett am liebsten nur ruhen, ohne einzuschlafen. Als Folge davon kommt es zu einem Schlafdefizit, das die Angstzustände verstärkt und die Panikattacken vermehrt. Es entsteht ein Teufelskreis: nächtliche Panikattacken führen zu phobischen Ängsten vor dem Einschlafen, die durch Schlafvermeidung zu lösen versucht werden, wodurch es erst recht zu Panikattacken kommen kann.

Die Ursachen für Panikattacken im Schlaf sind noch nicht ausreichend erforscht, derzeit geht man vom Modell einer chronischen Übererregung und Anspannung aus, die sich beim Einschlafen bzw. im Schlaf löst und Panikattacken bewirkt. Diese Vermutung wird durch zwei Faktoren bestätigt
Panikattacken treten während einer Schlafvertiefung im Laufe des Übergangs vom Leichtschlaf des Schlafstadiums II in den delta-wellenreichen tieferen Schlaf des Stadiums II auf und nicht im Tiefschlaf des Stadiums IV wie ein Pavor nocturnus.

Panikattacken (vor allem die ersten) entwickeln sich bei vielen Betroffenen während des an sich entspannenden Liegens abends im Bett auf oder beim entspannten Sitzen im Lehnstuhl, d.h. gerade nicht in Zeiten größter Belastung, sondern in der Entspannungsphase. Auch Migräneanfälle treten oft beim Übergang in die Entspannung nach langer Anspannung auf, z.B. am Wochenende. Die Neigung zu Panikattacken wird verstärkt durch die ängstliche Beobachtung dieser Vorgänge und deren Unerklärlichkeit.

Etwa 70% der nächtlichen Panikattacken stehen in keinem Zusammenhang zu REM-Schlafphasen, weshalb sie nicht als Folge von Alpträumen angesehen werden können. Schlafgebundene Panikattacken treten in einem Zustand minimaler Geistestätigkeit auf. Panikattacken könnten eventuell auch durch veränderte Atemmuster im Sinne einer Hyperventilation im Schlaf ausgelöst werden. Bei nächtlichen Panikattacken kommt es im Schlaf zuerst zu körperlichen Reaktionen als Folge der Entspannung, die vom Schlafenden als ungewohnt und bedrohlich eingeschätzt werden, so dass er voll Angst und Panik munter wird. Es handelt sich dabei um eine Bewertung körperbezogener Reize, ähnlich wie im Schlaf auch eine Bewertung umweltbezogener Reize erfolgt, die in einem Fall dazu führen, dass man munter wird (z.B. beim Schreien des Säuglings), während im anderen Fall kein Weckreiz erfolgt (z.B. bei Lärm durch Autos oder Züge).