Kognitive Verhaltenstherapie

Panikartige Ängste galten bis vor 15-20 Jahren als schwer behandelbar. Selbst in der Verhaltenstherapie wurden im Vergleich zur Agoraphobie erst relativ spät spezifische Behandlungsansätze entwickelt. Man beschäftigte sich lange Zeit nur mit der Behandlung von Ängsten als Folge externer Reize, d.h. mit phobischen Störungen und dem damit verbundenen Vermeidungsverhalten. Die Behandlung von Panikstörungen innerhalb der Verhaltenstherapie wurde erst möglich durch eine stärkere Berücksichtigung kognitiver Konzepte, die bei den ausschließlich lerntheoretisch orientierten Ansätzen der frühen Verhaltenstherapie vernachlässigt wurden.

Die kognitive Verhaltenstherapie bietet mittlerweile das erfolgreichste Behandlungskonzept für Panikpatienten mit und ohne Agoraphobie an.

Im deutschen Sprachraum haben Margraf und Schneider 1989 auf der Grundlage der kognitiven Therapie von Beck sowie nach anderen amerikanischen und englischen Vorbildern mit ihrem Buch “Panik. Angstanfälle und ihre Behandlung” ein umfangreiches und empirisch gut abgesichertes Behandlungsprogramm für Panikstörungen vorgelegt. Kognitive Techniken werden dabei nicht global angewandt, sondern stellen die veränderte Bewertung körperlicher Symptome in den Mittelpunkt.

Daneben werden die bewährten Techniken der Konfrontationstherapie eingesetzt, um kognitive Änderungen zu erleichtern. Das Programm ist zugeschnitten auf die Behandlung von Panikstörungen ohne Agoraphobie, ist aber auch bei Agoraphobie mit Panikstörung verwendbar. Hier werden dann die Techniken der Konfrontationstherapie durch kognitive Konzepte und Techniken erweitert, so dass eine effizientere Behandlung einer Agoraphobie mit Panikstörung gegeben ist. Das Programm wurde ursprünglich in Form einer Gruppentherapie mit insgesamt 15 Sitzungen von jeweils einer Stunde Dauer überprüft, wobei zur Erhöhung der Effektivität die individuellen Gegebenheiten der Teilnehmer maximal zu berücksichtigen versucht wurden.

In der klinischen Praxis finden Einzeltherapien zu jeweils 50 Minuten statt. Die ersten 10 Sitzungen erfolgen zweimal wöchentlich, die letzten fünf Sitzungen einmal wöchentlich. Alle Sitzungen werden auf Tonband aufgenommen. Als Hausaufgabe sind die Bänder anzuhören, um die therapeutischen Effekte zu festigen. Die Patienten erhalten auch schriftliche Unterlagen zur Bearbeitung.

Anstelle eines Frontalunterrichts wird das Therapiemodell durch “geleitetes Entdecken” vermittelt, d.h. die Patienten lernen durch gezielte Fragen, das therapeutische Konzept selbst zu erkennen. Im Rahmen eines dialogischen Prozesses lernen die Patienten, ihre Fehlinterpretationen körperlicher Symptome zu identifizieren, durch Argumente zu begründen und mit alternativen Erklärungskonzepten und den dafür sprechenden Argumenten zu vergleichen, um schließlich durch Abwägen des Für und Wider neue Sichtweisen und damit auch neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln zu können. Diese Strategie ist als sokratischer Dialog bekannt.

Die ursprünglichen Vermutungen (z.B. “Schwindel führt zu Ohnmacht”) und die gewonnenen Erkenntnisse (z.B. “Bei Herzrasen und steigendem Blutdruck kann man nicht mehr ohnmächtig werden”) werden durch Verhaltensexperimente überprüft.

Das gesamte Therapieprogramm umfasst folgende Aspekte

  • Diagnostische Phase. Zu Beginn erfolgt eine gezielte Suche nach möglichen Auslösern für Panikattacken sowie nach Bedingungen, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens erhöhen (z.B. Eßgewohnheiten, Kognitionen, Hyperventilation, interpersonelle Situationen).
  • Vermittlung eines Erklärungsmodells für Panikattacken (psychoedukative Phase). Informationen und Erklärungen zu Beginn der Therapie vermitteln den Betroffenen eine neue und erleichternde Sichtweise ihrer Störung, erhöhen die Wirksamkeit und Akzeptanz des therapeutischen Vorgehens und sind auch hilfreich zur Vorbeugung von Rückfällen. Vermittelt und erklärt werden folgende Konzepte: Natur der Angst, Teufelskreis der Angst, Komponenten der Angst (physiologisch, kognitiv, Verhalten), Typen von Angstanfällen, Vermittlung des Stressmodells, psychophysiologisches Modell der Angst, Genesemodell der Angst (Auslösefaktoren, Prädispositionen, aufrechterhaltende Faktoren), Information über den typischen Angstverlauf, Vermittlung des Konfrontationskonzepts als Behandlungsprinzip. Die Vermittlung eines adäquaten Erklärungsmodells stellt einen Schwerpunkt der Behandlung dar. Dabei werden Alternativen angeboten zu der Befürchtung vieler Panikpatienten, an einer (unerkannten) schweren körperlichen oder psychischen Krankheit zu leiden. Die Erläuterungen beruhen auf dem beschriebenen psychophysiologischen Erklärungsmodell für Panikstörungen. Sowohl spontan auftretende Panikattacken als auch starke Angstreaktionen in phobischen Situationen werden als Ergebnis eines Teufelskreises aus den individuell relevanten körperlichen Symptomen (z.B. Herzrasen, Schwindel), Kognitionen (z.B. “Ich könnte ohnmächtig werden”) und Verhaltensweisen (z.B. Hyperventilation) dargestellt.
  • Konfrontation mit internen Auslösern der Angstanfälle (besseres Umgehen mit unangenehmen, bewusst provozierten Körpersensationen). Die Teilnehmer lernen durch Verhaltensexperimente, ihre Aufmerksamkeit auf unangenehme Körpersensationen zu lenken und ihre Hypothesen bezüglich gefürchteter körperlicher Zustände zu überprüfen. Es wird drei Minuten lang ein Hyperventilationstest durchgeführt, um die eventuelle Auslösbarkeit von Panikattacken durch Hyperventilation zu testen und gleichzeitig die gefürchteten psychovegetativen Symptome besser ertragen zu lernen. Daneben werden auch andere Provokationsverfahren eingesetzt: körperliche Belastung zur Provokation von Herzrasen und Hitzegefühlen, schnelle Drehungen des Kopfes und des Körpers zur Schwindelprovokation, visuelle Effekte zur Provokation optisch-räumlicher Täuschungen, fünfminütige Konzentration auf den Herzschlag zur Erhöhung des Angstniveaus.
  • Imaginative Auseinandersetzung mit verschiedenen befürchteten Katastrophen (“Entratastrophisieren”). “Was wäre, wenn”-Vorstellungsübungen als bewusstes Zu-Ende-Denken von befürchteten Ereignissen, z.B. Vorstellung eines Ohnmachtsanfalls mit den am meisten gefürchteten Konsequenzen (außer Sterben).
  • Konfrontation mit externen Auslösern (Vermeidungsverhalten bewältigen). Die Teilnehmer üben in der Alltagsrealität die Konfrontation mit angstmachenden Situationen und überprüfen dadurch ihre angstmachenden Gedanken und Hypothesen.
  • Spezielle kognitive Techniken. Im Rahmen einer kognitiven Therapie werden die typischen angstmachenden Gedanken, die dysfunktionalen kognitiven Schemata sowie die Fehlinterpretationen der körperlichen Symptome (Gedanken, Vorstellungsbilder, Einschätzungen der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen) systematisch erarbeitet, die während eines Angstanfalls auftreten (z.B. “Ich bekomme einen Herzinfarkt”, “Ich könnte verrückt werden”, “Zu starkes Herzklopfen schadet meiner Gesundheit”), wobei auf die individuellen Gegebenheiten eingegangen wird. Zuerst wird ausführlich analysiert, welche Gründe aus der Sicht der Patienten für ihre angsterzeugende Interpretation sprechen, anschließend werden alternative Erklärungen für die Symptomatik, d.h. andere Ursachenzuschreibungen (Reattribuierungen), erarbeitet. Die übermäßige Konzentration auf den Körper, das bewusste Bemühen, normal zu denken, zu fühlen, zu atmen usw. und das Unterdrücken negativer Gedanken werden als potentielle Panikverstärkung dargestellt. Die Patienten lernen, ihr Bedürfnis nach 100%iger Sicherheit als eine Quelle ihrer Störung zu erkennen, und werden angeleitet, mit einem Restrisiko leben zu können.
  • Weitere Maßnahmen. Bei Bedarf erfolgen verschiedene andere Trainingsmaßnahmen: Selbstinstruktionstraining, Problemlösetraining, Training sozialer Fertigkeiten, Generalisierung der Lernerfolge, Rückfallsprävention.

Der Einsatz des Programms im Rahmen einer Gruppentherapie an der psychiatrischen Ambulanz der Wiener Universitätsklinik erforderte eine Erweiterung im Sinne einer stärkeren individuellen Zuwendung und eine größeren Berücksichtigung lebensgeschichtlicher Bedingungen im Sinne der “Interpersonellen Psychotherapie”.

Schmidt-Traub legte 1997 mit ihrem Buch “Panikstörung und Agoraphobie. Kurzzeitbehandlung in kombinierter Gruppen- und Einzeltherapie” ein Modell vor, wie eine halbstandardisierte, flexibel konzipierte Gruppentherapie von 8 Sitzungen im Ausmaß von jeweils einer Doppelstunde effizient mit Einzelgesprächen nach individuellem Bedarf (im Durchschnitt 8 Sitzungen), vom gleichen Therapeuten durchgeführt, verbunden werden kann.

Die Gruppentherapie dauert 5 Monate, die Einzeltherapie je nach der Zahl der Therapiestunden 5-9 Monate. Die Einzeltermine finden zwischen den Gruppensitzungen statt, die in immer größeren Abständen erfolgen. Das Konzept, das auf ambulante Panikpatienten mit und ohne Agoraphobie zugeschnitten ist, lässt sich bei engeren Sitzungsabständen auch auf einen stationären Rahmen übertragen. Die Gruppenteilnehmer werden aufgrund der Ergebnisse eines mindestens einstündigen Vorgesprächs zur differentialdiagnostischen Abklärung ausgewählt. Dabei werden auch verschiedene Angst-Fragebögen eingesetzt. Die sorgfältige Auswahl der Gruppentherapieteilnehmer bewirkt, dass während der Therapie nur wenige Ausfälle zu verzeichnen sind.

Das halbstandardisierte Therapieprogramm umfasst 5 zentrale Interventionsbereiche

  1. Psychologische und medizinische Edukation. Patienten-Informationsblätter, die in jeder Stunde verteilt werden, geben ausführliche Hinweise über Entstehung, Verlauf und Behandlung einer Panikstörung bzw. Agoraphobie.
  2. Kognitive Schritte. Es werden Strategien zur kontinuierlichen funktionalen Verhaltens- und Bedingungsanalyse, zur Konzentrationslenkung mit dem Ziel der Angstkontrolle, zur besseren Problemlösefähigkeit und zur positiven Selbstinstruktion in Angstsituationen vermittelt.
  3. Exposition in vivo und in sensu. Es werden reale und mentale Konfrontationen mit den gefürchteten Situationen durchgeführt, um mit den auftretenden physiologischen Reaktionen besser umgehen zu lernen. Die Konfrontationstherapie erfolgt von Beginn an ohne Therapeutenbegleitung in gestufter Form, um Erfolgserlebnisse sicherzustellen.
  4. Körperbezogene Verfahren, die kurzfristig eine Angstkontrolle ermöglichen, und Gesundheitsverhaltenstraining, das langfristig eine psychoimmunologische Stärkung bewirkt.
  5. Gruppendynamik und Modellverhalten der Gruppenteilnehmer erleichtern das Angstbewältigungstraining.

Das Gruppentherapiekonzept enthält für jede Sitzung einen therapeutischen Leitfaden, spezielle Hinweise für den Therapeuten sowie umfangreiche und recht nützliche Patienteninformationen. Den Gruppentherapieteilnehmern werden zahlreiche Bewältigungsstrategien angeboten, aus denen sie die passenden auswählen können. Das breite Angebot an Interventionsmöglichkeiten berücksichtigt den Umstand, dass nicht vorhersehbar ist, auf welche Techniken die Betroffenen am besten ansprechen werden.

Bei 91% der 66 in 10 Gruppen behandelten Angstpatienten traten später fast keine Vermeidungsreaktionen und keine Panikattacken mehr auf. Das Konzept von Schmidt-Traub lässt sich auch sehr gut im Rahmen einer Einzeltherapie durchführen, so dass das erwähnte Buch allen Angsttherapeuten und Angstpatienten zu empfehlen ist.

Bei Menschen mit Panikattacken, die einigen Mut aufbringen und rasch Erfolge erzielen möchten, kann nach einem Vorschlag von Hand gleich zu Therapiebeginn im Rahmen der Diagnostikphase die Methode der paradoxen Intervention eingesetzt werden. Der Klient soll in einer Alltagssituation oder im Therapieraum bewusst einen Panikzustand provozieren oder zulassen, um eine genaue Beschreibung des Ablaufs geben zu können. Die Neigung von Panikpatienten zu erhöhter Körperbeobachtung wird therapeutisch zu nutzen versucht. Als Folge davon machen die Betroffenen die Erfahrung, dass der erwartete Panikzustand entweder nicht so leicht auszulösen ist wie erwartet oder nicht so schwer ausfällt wie befürchtet. Auf diese Weise kann das Meidungsverhalten, das den zentralen Faktor phobischen Verhaltens darstellt, rasch durchbrochen werden.