1. Psychoanalytische Theorien
Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Bildung von Symptomen fast immer den Zweck hat, konflikthafte Bestrebungen und Einstellungen im Individuum durch einen Kompromiss miteinander zu versöhnen und so das psychische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Misslingt eine solche Konfliktlösung tritt Angst auf. Auch wird angenommen, dass die betroffene Person in ihrer Entwicklung nicht die Fähigkeit entwickeln konnte, mit normaler Angst umzugehen. In konflikthaften Situationen erlebt die Person deshalb eine Überforderung, und es können alte kindliche Ängste in ihr aufsteigen.
Auch treten besonders bei drohendem Verlust einer nahestehenden Bezugsperson oder sozialen Anerkennungsverlusten akute Ängste wie z.B. Trennungsangst auf. Was die Entstehung von Phobien angeht, so vermutet die psychoanalytische Theorie folgenden Mechanismus: Treten innerhalb eines Individuums Konflikte auf (z.B. verdrängte sexuelle Phantasien) werden diese durch Abwehrmechanismen nach außen verlagert. Bei einer Phobie hat der Betroffene dann nicht eigentlich Angst vor dem wirklichen Objekt, auf das er phobisch reagiert, sondern er fürchtet in Wahrheit die unbewusste Phantasie, die mit diesem Objekt in Verbindung steht. Die äußere steht also für eine innere Angst.
2. Lerntheoretische Erklärungen
Diese Erklärungen eignen sich insbesondere für die Beschreibung der Entstehung von Phobien. Es wird ein mehrstufiger Prozess angenommen. Zunächst “erlernt” eine Person die Angst vor einer ehemals neutralen Situation. Am Beispiel der Flugangst erklärt bedeutet das: Eine Person, die nie Angst vor dem Fliegen hatte, erlebt bei einem unruhigen Flug die Angst abzustürzen. Die ehemals neutrale oder sogar als angenehm erlebte Situation des Fliegens ist nun mit Angst besetzt. Würde diese Person sich danach wiederholt dieser Situation aussetzen und dabei sehen, dass die Angst unbegründet ist, würde das Fliegen seinen bedrohlichen Charakter verlieren. Die erworbene Angst vor dem Fliegen hält aber die Person davon ab, sich dieser Situation erneut auszusetzen.
Auf diese Weise wird durch die Vermeidung der angstbesetzten Situation die Angst aufrechterhalten, denn die Vermeidung der Situation wird durch das Ausbleiben der Angst “belohnt”. Es kann auch Angst vor einer Situation oder einem Objekt erworben werden, mit der die Person selbst noch nie schlechte Erfahrungen gemacht hat. So kann beispielsweise bei einem Kind schon Angst vor einer Maus entstehen, weil es gesehen hat, mit welcher Angst seine Mutter auf den Anblick einer Maus reagiert hat. Durch diese Beobachtung hat es gelernt, dass eine Maus etwas ist, wovor man Angst haben muss.
Bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Angst spielt auch die Wahrnehmung körperlicher Symptome eine wichtige Rolle. Verspürt eine Person Angst, stellen sich bei ihr körperliche Reaktionen wie z.B. Herzrasen ein. Diese Symptome werden vom Betroffenen subjektiv als Gefahr gedeutet, was dazu führt, dass das Angstgefühl noch verstärkt wird. Das wiederum trägt im Rahmen einer Stressreaktion zur Verstärkung der körperlichen Symptome bei. Es hat sich auf diese Weise ein Teufelskreis gebildet, der die stete Zunahme der Angstsymptomatik bewirkt.
Die Lerntheorie kann auch erklären, warum es im Zusammenhang mit Panikstörungen zum Auftreten von Erwartungsangst kommt. Durch das eventuell wiederholte Auftreten einer Panikattacke wird Angst vor weiteren Attacken ausgelöst; eine Angst vor der Angst entsteht.
3. Neurobiologische Aspekte
Die oben beschriebenen Erklärungen suchen die Ursachen für Angst- und Panikstörungen in bestimmten Umweltbedingungen. Aber warum entwickeln nicht alle Menschen unter ähnlichen Lernbedingungen Phobien?
Es wird davon ausgegangen, dass nicht allein schlechte Lernerfahrungen zu der Ausbildung einer Phobie führen, sondern dass dazu zusätzlich eine biologische Disposition bestehen muss. Ein Faktor, der hierbei eine Rolle zu spielen scheint, ist die Labilität oder Stabilität des autonomen Nervensystems. Das autonome Nervensystem reguliert und kontrolliert die Funktionen der inneren Organe, z.B. Herz und Atmung. Bei Angstpatienten scheint es so zu sein, dass sie über ein labiles autonomes Nervensystem verfügen, das leicht durch verschiedenste Reize erregt werden kann. Dies führt dazu, dass Angstsymptome besonders schnell ausgebildet werden können.
Die Labilität des autonomen Nervensystems scheint angeboren zu sein. So zeigt sich auch, dass genetische Faktoren an der Entstehung von Angst- und Panikstörungen beteiligt sind. Untersuchungen haben ergeben, dass Verwandte ersten Grades von Angstpatienten eine höhere Erkrankungswahrscheinlichkeit haben als Verwandte Nichtbetroffener. Es ist allerdings nicht klar, ob diese Ergebnisse nur auf genetische Faktoren zurückgeführt werden können, denn Verwandte ersten Grades leben häufig auch in der gleichen Umwelt oder Sie sind bzw. waren ähnlichen Einflüssen ausgesetzt. Falls also Umweltfaktoren die Entstehung von Angsterkrankungen beeinflussen, wie es z.B. die Lerntheorie annimmt, könnte das der Grund für die höhere Erkrankungswahrscheinlichkeit im verwandtschaftlichen Umfeld Betroffener sein. Weitere neurobiologische Befunde zeigen, dass bei Angstpatienten Besonderheiten bezüglich der Aktivität bestimmter Hirnregionen und der zugehörigen Botenstoffe vorliegen.