Soziale Ängste im Jugendalter

Ein bestimmtes Ausmaß an sozialen Ängsten ist gerade bei Jugendlichen völlig normal. Soziale Ängste treten im Jugendalter häufig dann auf, wenn die typischen Entwicklungsaufgaben in diesem Lebensabschnitt nicht ausreichend bewältigt werden:

  • Ablösung vom Elternhaus in Form von mehr Selbständigkeit,
  • Eintritt in die Berufswelt,
  • Entwicklung einer eigenen Identität,
  • Integration in die Gleichaltrigengruppe mit alterstypischen Aktivitäten,
  • Kontaktfähigkeit gegenüber dem anderen Geschlecht,
  • Umgang mit den Veränderungen in der körperlichen Entwicklung.

Im Jugendalter werden oft Fragen wichtig wie: „Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Was halten die anderen von mir? Welche Beurteilungskriterien sollen gelten, die eigenen oder die der anderen Menschen?“

Auf der Suche nach einem verbindlichen Maßstab für das eigene Handeln entwickelt sich eine erhöhte Empfindsamkeit für kritische Reaktionen vonseiten der Umwelt. Die eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen werden selbstkritisch mit den Auffassungen der Alterskollegen verglichen. Anderssein und anders handeln macht Angst.

Schlagworte wie Selbständigkeit, Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit deuten die Entwicklungsziele an, die für die Pubertät wichtig sind, in diesem Zeitraum jedoch nicht ausreichend verwirklicht werden können. Soziale Ängste hängen mit dem Fehlen oder der mangelhaften Ausprägung dieser Aspekte zusammen.

Aufgrund des oft noch unzureichenden Selbstwertgefühls sind viele Jugendliche gefährdet, ihr Selbstbewusstsein übermäßig auf bestimmten Leistungsaspekten und Statussymbolen aufzubauen: gute Noten, attraktives Äußeres, körperliche Kraft, Kleidung mit bestimmten Markennamen, Besitz bestimmter technischer Güter.

Es herrscht der Grundsatz: „Wenn ich nicht weiß, was ich bin, zeige ich her, was ich habe, und demonstriere ich, was ich kann“. Der Versuch, durch Überanpassung an die Gruppe der Gleichaltrigen soziale Anerkennung zu gewinnen, kann sich ebenfalls als hinderlich erweisen, ein eigenständiges Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Wenn Du soziale Ängste hast, beruhen diese wahrscheinlich auf dem Umstand, dass Du Kritik zu Aspekten Deiner Person fürchtest, die Du selbst als problematisch beurteilst. Durch ein soziales Vermeidungsverhalten versuchst Du dann jener Kritik zu entkommen, die Du Dir selbst gegenüber geäußert hast.

Typische Beispiele sind: „Ich bin zu dick“, „Meine Haut weist zu viele Pickel auf“, „Mein Gesicht wirkt so blass und traurig“, „Wenn ich den Mund aufmache, sage ich lauter Blödsinn“, „So wie ich bin, kann mich niemand wirklich mögen“, „Andere sind beliebter als ich“, „Ich bin noch nicht so reif und erwachsen wie andere Jugendliche“.

Vorübergehende soziale Ängste sind in der Kindheit und Jugend relativ häufig. Soziale Ängste beginnen meist zwischen dem 13. und 20. Lebensjahr und damit etwas früher als eine Panikstörung oder Platzangst.

Wie eine aktuelle süddeutsche Studie bei über 3000 repräsentativ ausgewählten 14-24jährigen ergab, litten 7,6% dieser jungen Menschen im Laufe ihres noch kurzen Lebens bereits unter sozialen Ängsten.

Bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich soziale Ängste am häufigsten in Form der Schulangst und der Prüfungsangst, aber auch in der Angst, von anderen Kindern ausgelacht und abgelehnt zu werden, wenn diese als Gruppe und damit als bestimmende Mehrheit erlebt werden.

Schüler mit sozialen Ängsten schneiden wegen ihrer Prüfungsängste und des nicht seltenen Vermeidens der Teilnahme am Unterricht bei Prüfungen häufig schlechter ab als andere Kinder, was die Angst vor Leistungsbeurteilungen verstärkt.

Schlechtere Schulleistungen, als aufgrund des oft großen Lerneinsatzes notwendig sind, hängen zusammen mit der angstbedingten Blockade beim Sprechen vor der ganzen Klasse und der Autoritätsperson des Lehrers.

Die Prüfungssituation als der Inbegriff einer gefürchteten Leistungsbeurteilung führt zu einer verstärkten Beobachtung des eigenen Verhaltens bzw. bestimmter sozial auffällig machender Symptome (Zittern, Rotwerden, Schwitzen, Stottern, Versagen der Stimme) und infolgedessen zu einer Konzentrationsstörung, so dass das oft vorhandene Wissen nicht angemessen dokumentiert werden kann.

Die Entwicklung sozialer Ängste darf nicht nur auf individuelle Probleme des Kindes zurückgeführt werden, wie dies früher häufig getan wurde, sondern ist auch auf dem Hintergrund der Lebensumwelt des Kindes, insbesondere der Familiensituation, zu sehen. Dabei können recht unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen (z.B. Erziehungsstil, Eltern-Kind-Beziehung, Gewalttätigkeit eines alkoholkranken Vaters, auseinander brechende Beziehung der Eltern).

Soziale Ängste können im Jugendalter in drei Formen auftreten

  1. Es bestehen grundlegende soziale Ängste mit einem daraus folgenden sozialen Fertigkeitsmangel. Bestimmte Entwicklungsbedingungen, insbesondere im Elternhaus, begünstigen die Ausbildung sozialer Ängste. Das ängstliche Vermeidungsverhalten verhindert die Entwicklung sozialer Fertigkeiten, was zu den typischen Aufgabenstellungen im Jugendalter gehört. Leichte Verletzlichkeit und große Erwartungsängste verstärken den sozialen Rückzug, der das Einüben sozialer Fertigkeit verunmöglicht. Die Konfrontation mit bestimmten sozialen Anforderungen löst körperliche Symptome von panikartigem Charakter aus.
  2. Es besteht ein grundlegender Mangel an sozialen Fertigkeiten mit der Folge sozialer Ängste. Bestimmte Lebensbedingungen haben die Entwicklung sozialer Fertigkeiten verhindert und infolgedessen zu einer sozialen Phobie geführt. Mehrfache Umzüge der Eltern aus beruflichen Gründen haben die immer wieder neu aufgebauten Sozialkontakte zerstört, Umschulungen mit wechselnden Anforderungen haben das Selbstvertrauen des Jugendlichen in das schulische Können erschüttert, schwere Erkrankungen mit langen Krankenhausaufenthalten haben zu einer sozialen Isolierung geführt, kontaktarme oder stark einschränkende Eltern haben die Entwicklung angemessener Sozialkontakte verhindert, eine leichte körperliche oder geistige Behinderung wurde nicht ausreichend beachtet. Soziale Ängste können auch bei vorher sozial gut integrierten Personen nach einer länger anhaltenden Platzangst oder Depression auftreten.
  3. Es bestehen nur scheinbar soziale Ängste und nur scheinbar ein Mangel an sozialen Fertigkeiten, tatsächlich liegt dem Verhalten eine Depression zugrunde. Vorher sozial unauffällige Jugendliche entwickeln plötzlich ein Rückzugsverhalten und eine erhöhte Ängstlichkeit. Dies kann mit einem depressiv bedingten Antriebsmangel und einem Abfall des Selbstwertgefühls zusammenhängen. Bei derartigen sozialen Ängsten ist zuerst die zugrunde liegende depressive Symptomatik zu behandeln.

Soziale Ängste können im Jugendalter auch überspielt werden

  • Angst als Folge der familiären Ungeborgenheit kann durch Aggression abreagiert werden.
  • Ein von klein auf ängstlicher junger Mann zeigt seine Furchtlosigkeit durch riskante Sportarten oder gefährliche Mutproben.
  • Ein innerlich ängstlicher Jugendlicher sucht sich eine noch ängstlichere Freundin, der gegenüber er selbstbewusst auftritt.

Soziale Ängste bewältigen

Soziale Ängste lassen sich relativ gut bewältigen

  • Bei spezifischen sozialen Ängsten, wo die Gehemmtheit eine große Rolle spielt, ist eine Konfrontation mit den gefürchteten sozialen Situationen sehr wirksam, um jedes Vermeidungsverhalten zu beseitigen. Erwartungsängste werden dadurch als unzutreffend erkannt. Stelle Dich jeder gefürchteten sozialen Situation nach den Prinzipien der Angstbewältigung.
  • Ein Selbstsicherheitstraining dient dem Aufbau sozialer Fertigkeiten und der Entwicklung von mehr Selbstsicherheit bei eher generalisieren sozialen Ängsten. Schau Dich um, wer Dir als Vorbild dienen könnte und lerne aus der Beobachtung anderer, selbstsicherer zu werden.
  • Sehr wichtig ist es auch, die negativen, Angst erzeugenden und Angst verstärkenden Denkmuster zu analysieren und zu verändern.

Einige Vorschläge für kleine Mutproben können dir helfen, wenn dein Problem eher in einer sozialen Gehemmtheit besteht

  • Gehe in einem Lokal bis zum Ende und tue so, als ob du einen Bekannten suchen würdest und frage den Kellner, ob er einen blonden jungen Mann mit einem blauen Sakko gesehen habe.
  • Versuche in einem Supermarkt bei einer Menschenschlange zur Kasse vorgelassen zu werden mit der Begründung, du hättest nur einen Artikel.
  • Trage einmal eine Kleidung, mit der du sicher Aufsehen erregst.
  • Frage vor einer Telefonzelle Personen, die du sonst niemals anreden würdest, ob sie dir eine 5-S-Münze auf einzelne Schilling wechseln können.
  • Ersuche vor einer Telefonzelle Passanten, dir einen Schilling zu schenken.
  • Rede eine Person des anderen Geschlechts an, von der du glaubst, dass sie nicht mit dir sprechen wird, um das Gefühl der Ablehnung besser aushalten zu lernen (sollte diese Person doch mit dir reden, lass die Gelegenheit nicht vorübergehen).
  • Frage Passanten auf der Straße nach einem bestimmten Haus oder Weg.
  • Versuche in einem Geschäft bei einem Verkäufer mit irgendeiner Begründung einen Preisnachlass von 3% zu erreichen.
  • Übe das Aushalten eines peinlichen Verhaltens, indem du z.B. in einem Café den Teelöffel zu Boden fallen lässt und um einen neuen ersuchst.
  • Sage in einer für dich typischen Angstsituation: „Jetzt wird mir ganz heiß, jetzt schwitze ich aber ordentlich, mir wird jetzt ganz schwindlig, gleich werde ich rot“, um auf diese Weise deine Angst vor dem Sichtbarwerden von Symptomen zu bewältigen.
  • Äußere bestimmte Wünsche direkt und ohne Entschuldigung, auch wenn du glaubst, dass sie von den Betroffenen nicht erfüllt werden.
  • Halte Blickkontakt mit anderen, bis diese wegschauen, bzw. lächle sie an.

Im folgenden sollen einige Ängste genauer beschrieben werden, die häufig Ausdruck einer Sozialphobie sind, dies aber nicht in jedem Einzelfall sein müssen: Schulphobie, Schulangst, Prüfungsangst und Sprechangst.